Möglichkeiten der Technik für die Kunst
Bei meiner Recherche über die Möglichkeiten modernster Computertechnik für die Kunst und neuer Technologien wie dem 3D Druck bin ich wieder über das Thema „Camera Obscura“ gestolpert. Es gibt relevante Hinweise dafür, dass Künstler bereits Jahrhunderte vorher schon Hilfsmittel nutzten, um Ihre Gemälde, Ihre Kunstwerke wirklich einzig“artig“ erscheinen zu lassen. Wenn wir also heute, in unserer schnelllebigen Zeit, Künstlern vorwerfen, sich diverser Hilfsmittel wie Photobearbeitungsprogrammen oder Beamern zu bedienen, so muss man anmerken: Das haben eben auch früher schon Künstler so gemacht. Logischerweise mit den damals zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten. So erfreut sich der Mythos um den Maler Jan Vermeer van Delft bis in die heutige Zeit ungebrochener Beliebtheit.
Zu diesen der Kunst dienlichen Stützen gehört zweifelsohne die Camera Obscura. Um die Benutzung dieses Vorläufers moderner Fotoapparate ranken sich speziell im Bereich der Kunst zahlreiche Legenden und Mythen. Gehörte Vermeer auch zu den Nutzern der Camera Obscura? Kann es sein, dass deshalb seine Interieurs so extrem detailgetreu wirken und andererseits seine dargestellten Figuren oftmals perspektivisch fehlerhaft? Wer war dieser Maler wirklich? Was trieb ihn an und warum hütete er sein Geheimnis? Am unten eingefügten Bildbeispiel, dem Vermeer Gemälde „Der Soldat und das lachende Mädchen“ ein rezensions-figunetischer Deutungsversuch.
Der Zeitraum Mitte 1860
Jan Vermeer wurde im Jahre 1632 in Delft, Niederlande, geboren. Er gilt bis heute als einer der berühmtesten niederländischen Maler des Barock (Goldenes Zeitalter) obwohl er zu Lebzeiten kaum rezipiert wurde. Dieser Umstand mag auch an seinem extrem kleinen Gesamtwerk von bis heute nur 37 eindeutig Vermeer zugeordneten Gemälden liegen. Übrigens sind Zeichnungen gar nicht vorhanden. Nach seinem Tode geriet er etwas in Vergessenheit, wurde dann aber ab Mitte 1860 wiederentdeckt, breiter rezipiert und auch seine Gemälde fanden, anders als zu seinen Lebzeiten, nun fulminant Einzug in die Auktionshäuser.
Neben der häufig in den Raum geworfenen Frage, wer denn nun, so der Originaltitel bzw. dessen deutsche Übersetzung, „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ in Wirklichkeit* war wurde dem Maler auch immer wieder die Verwendung einer Camera Obscura angedichtet.
*(Die Frage wurde populär aufgegriffen im Roman von Tracy Chevalier aus dem Jahr 1999 und im gleichnamigen Film von Peter Webber aus dem Jahre 2003)
Detailtreue: künstlerisches Stilmittel oder der Beweis für ein Hilfsmittel?
Noch lange bevor die Fotografie alltagstauglich wurde und den Menschen Fotos somit optisch vertraut waren, bemerkte der amerikanische Lithograph und Radierer Joseph Pennell die augenscheinliche Disharmonie im Größenverhältnis der beiden dargestellten Personen in Vermeers Gemälde „Der Soldat und das lachende Mädchen“. Aber, und jetzt wird es nochmals wirklich interessant, die vermeintliche Diskrepanz ist in der Tat nur eine vermeintliche.
Folglich, wenn es sich bei dem berühmten Gemälde um eine Fotografie handeln würde, so wäre das Gemälde komplett stimmig. Dazu brauchen wir uns nur einmal aktuelle Fotos mit Menschen, zum Beispiel Selfies oder Gruppenfotos anzuschauen. Die extreme und oft nahezu unwirklich erscheinende Größe der im Vordergrund sich befindlichen Personen ist aufgrund der perspektivischen Verkürzung logisch und somit normal. Insofern lügt die Linse nicht.
Zur Zeit Vermeers gab es jedoch noch keine Vertrautheit mit Fotos, denn es gab keine Fotokamera im heutigen Sinne. Wohl aber gab es die Camera Obscura und zwar war deren Prinzip und Aufbau bereits Aristoteles (384–322 v. Chr.) bekannt. So baute Roger Bacon. (1214–1292 oder 1294) erste Apparate in Form einer Camera obscura für Sonnenbeobachtungen. Ebenso befassten sich Leonardo da Vinci und Johannes Kepler mit dem Prinzip der Camera Obscura. Im Mittelalter dann konstruierte Johann Zahn ein transportables Gerät. Das war im Jahr 1686 und damit etwas später als in der Entstehungszeit der Gemälde Vermeers, was den Mythos um die Benutzung unnütz verstärkt.
Der Mythos Vermeer lebt: Perspektivisch anders und auffällig
Es ist jedoch anzunehmen, dass Vermeer eine Camera Obscura benutzt hat, denn ab dem Beginn des Mittelalters war man in der Lage Linsen zu schleifen und damit das bisherige Loch in der Camera Obscura zu ersetzen. Doch zurück zur eigentlichen Frage, die da lautet, warum es Joseph Pennell überhaupt auffiel, dass Vermeer perspektivisch so anders malte als nahezu alle seine künstlerischen Zeitgenossen.
Einfach erklärt und kein Mythos: Da es seinerzeit noch keine Photographie gab, malten die Maler hauptsächlich nach Modell, sprich, es saßen die dargestellten Personen, wenn auch nicht unbedingt selbst, so doch beispielhaft in Form von Statisten (siehe dazu z.B. die Arbeitsweise Carravagios o.ä.) real Modell. Dabei waren ebensolche Perspektiven erkennbar. Diese versuchte der jeweilige Maler jedoch rein intuitiv mit seinem „Wissen“ auszugleichen. Er malte somit weniger etwas was er tatsächlich sah, sondern vielmehr das, was er wusste oder zu wissen glaubte. Dies beruhte auf der Tatsache, dass wir heute – im Gegensatz zu den Menschen zu Zeiten Vermeers – wesentlich vertrauter mit jeglicher Art von Vordergrundobjekten sind. Damals undenkbar.
Wenn nun also Vermeer, wie im Bild unten, seinen Offizier fast doppelt so groß wie das lachende Mädchen malte, so liegt es nahe, dass er es durch eine Art Camera Obscura so sah und sich auf das Gesehene verließ. Dies macht auch gleichzeitig seinen unverwechselbaren Stil aus. Er, der Meister des Lichtes, auch der Maler der Stille genannt, um ihn ranken sich Legenden. Die Meinung der Kunstgeschichtskenner geht weit auseinander, was die Benutzung der Camera seitens Vermeer anbelangt. Es gibt tendenziell aktuell eine etwas größere Anzahl an Experten, die den Mythos Vermeer um die Camera bekräftigen.
Pro und Contra bis hin zu ausgefeilten Untersuchungsmethoden
Manche von Ihnen, so der niederländische Gelehrte PTA Swillens , er sich intensiv mit Veermers Malstil beschäftigte, waren nicht der Meinung, dass der Maler es nötig hatte, ein solches Hilfsmittel zu nutzen. Andere wiederum gingen mit fast kriminalistischem Spürsinn und Methodik der Frage nach der Benutzung nach. Dazu baute beispielsweise Daniel A. Fink im Jahre 1971 extra eine solche Kamera exakt nach und stellte diese in einen Raum mit Nordlicht. Dieses wurde von den damaligen Malern bevorzugt. Fink untersuchte mit dieser Camera Obscura ähnliche Gegenstände wie jene in Vermeers Bildern in einem ähnlichen Raum mit ähnlichen Verhältnissen und er kam zu einem Ergebnis, welches die These der Pro-Camera-Obscura Benutzung stärkt. Alle Einzelheiten zum Abschluss seiner Untersuchung sind hier zu finden: „Vermeer’s Use of the Camera Obscura – a Comparative Study“
Bis heute sind sich Experten uneinig darüber, ob Vermeer eine solche Camera Obscura benutzte. In 13 seiner Gemälde wurden kleine Einstiche gefunden. Diese deuten darauf hin, dass der Maler, um die Perspektive im Bild umzusetzen, sich bekannter und unspektakulärer Hilfen bedient haben könnte, vielleicht ähnlich jenen, die Martin Missfeldt in seinem Blog am Beispiel „Der Zeichner der Laute“ von Albrecht Dürer beschreibt. Möglich auch, dass Vermeer beides nutzte, um die faszinierenden Interieurs zu erschaffen, die bis in die heutige Zeit Menschen so begeistern, dass Ausstellungen des Malers schon Wochen vorher komplett ausverkauft sind.
Bei allem Mythos: Lassen wir doch Vermeers Bilder und deren Entstehungsmythos auf uns wirken – mögen sich die Experten auch weiterhin nicht einig sein 🙂
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