Iris Hilpert | Es brodelt unter der Oberfläche

Es brodelt unter der Oberfläche

Haibach: Seltsame Tiere bevölkern die Ölgemälde von Iris Hilpert aus Meißen: eine Hyäne mit Teddybär-Gesicht, zwei ineinander verknäuelte Elefanten, ein Vogel, dessen Körper wie eine Handgranate geformt ist. Sind es wirklich Tiere, die da abgebildet sind, in Farben, die wie unter einem Schleier glühen? Oder sind es Traumgebilde, deren Hörner, Hufe, Klauen, Schnäbel und kleine stechende Augen drohende Gefahr signalisieren?

Wer die Ausstellung in der Annahaus-Galerie in der Haibacher Fischergasse 7 besucht, darf es nicht eilig haben. Denn die von Hilpert entwickelte Ausdrucksform der »Figunetik« will geduldig entdeckt werden. In dieser Kunstrichtung werden figurative und abstrakte Ausdruckselemente »verkehrt herum« angewandt: Lebewesen werden dargestellt, als ob sie aus unbelebter Materie wären, aus Stein oder Metall etwa. Unbelebtes, Anorganisches entwickelt hingegen ein unheimliches Eigenleben.

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Im Gegensatz zum Kubismus, der Figuren auf geometrische Elemente reduziert, verschmilzt »Figunetik« Figuratives und Abstraktes, was die Sichtweise auf menschliche Abstraktions-Prozesse verändert – und den Blick öffnen soll für wachsende Diskrepanz zwischen hochtechnisierter Kommunikations(schein)welt und tatsächlich wahrgenommener Realität.

Hilpert, die 1982 bis 1985 die Zeichenschule der Porzellanmanufaktur Meißen besuchte und seit 1992 freischaffende Künstlerin ist, beschäftigt sich seit 2008 mit neuen Ausdrucksformen. Für sie ist Figunetik »eine Schrift, die man lernen muss«. Damit meint sie auch den Betrachter. Dem Besucher der Haibacher Ausstellung sei empfohlen, sich zum »Aufwärmen« zunächst Hilperts 2009 entstandene Serie »Musiker« anzusehen.

Mit Tusche und Pinsel hat die Künstlerin Instrumentalisten bei der Arbeit skizziert, niedliche Figuren in schwungvollen Verrenkungen, mit abstehenden Schnurrbärten und wehenden Mähnen. Die bezaubernde Leichtigkeit des Pinselduktus macht bereit zur Öffnung für ein Seherlebnis, das auch die anderen Sinne, hier das Gehör, mitschwingen lässt. Damit ist Stufe eins der Aufnahmebereitschaft für Figunetik erreicht. In ihrem Hyänen-Gemälde »Passgänger« weist die Künstlerin den Weg: Mit dem Gesicht, das im Fell der dargestellten Hyäne zu entdecken sei, wolle sie »verdeutlichen, dass gesellschaftliche Veränderungen, Gefahr und Bedrohung bis ins Innere einfließen, eindringen und verändern«. Das könne so weit gehen, dass man zu einem roboterhaft funktionierenden Mechanismus werde.

Es brodelt unter der Oberfläche der harmlos scheinenden Szenen mit aufschlussreichen Titeln wie »Apnoe« (eine Krankheit mit lebensbedrohlichen Atemaussetzern im Schlaf) oder »Kaputt«. Wer hat ihn kaputt gemacht, den Hai mit abgetrenntem Schwanz? Die Ankerkette, die zwischen den Fleischstücken im trüben Wasser zu erkennen ist oder der Matrose, dessen fies grinsendes Gesicht sich auf der glatten Fischhaut spiegelt? Nichts ist, wie es scheint, und schon gar nicht in Ordnung.

Melanie Pollinger