Satire Gendarmenmarkt Berlin – Friedrichstadt

1998 benötigte ich für eine Berliner Ausstellung noch ein paar Stadtlandschaften und ich entschied mich für den Gendarmenmarkt, So malte ich das Konzerthaus, den Deutschen Don, das Schiller-Denkmal und den Französischen Dom. Meist krame ich in der Geschichte der zu malenden Objekte rum und da gab es sogleich Futter für eine Satire.

Heiß war´s und vor lauter Touris sah man die kleinen Kirchen nicht. Links Schatten, rechts Sonne. Mir war nach Schatten zumute. Dieser herrliche Platz hat große Ausmaße, damit mein Humor noch reinpasst und sich die Touris nicht auf Schritt und Tritt anrempeln. Bei Wikipedia ist das seltsamerweise untergegangen.

Bei einer derartigen Größe, kann auch der Gendarmenmarkt viele Namen schlucken, die man ihm im Laufe seines Lebens verpasste. Geduldig wie er nun mal ist, verkraftete er alles, ohne dabei untergegangen zu sein. Zunächst nannte man ihn Lindenmarkt. Kaum hatte er sich daran gewöhnt, avancierte er zum Neumarkt. Mit derartiger Aufmerksamkeit hatte er gar nicht gerechnet, da ihm sein Umfeld unansehnlich vorkam und er sich weit entfernt von einem repräsentativen Platz befand.

Friedrich II. bekam eine Kolik nach der anderen und konnte seinen staatsführenden Aufgaben nicht mehr gerecht werden, weil dieser Platz in seinen Augen als Unding sich festgefroren hatte. Dieses Terrain schreit nach Veränderung ! Die verdammte Schmuddelarena untergräbt die längst überfälligen Zeugnisse des stolzen Herrscherhauses und seines etablierten Großbürgertums. Der Platz wird aufgeziegelt und bekommt das Ansehen, was ihm zusteht. Bald darf sich die Welt im Staunen üben !

15.000 Hugenotten gab es in Berlin und seiner Umgebung und die Eingewanderten bestanden auf dem Bau einer eigenen Kirche. Kein Problem, der Platz ist groß genug und da darf sich auch eine Französische Kirche breit machen. Verantwortlich war dafür Louis Coyart. Gegenüber war die Deutsche Kirche.

Friedrich II. holte sich eine Prise Schnupftabak aus seiner vergoldeten Dose, hüstelte dreimal kurz militärisch und ließ die gesamten Häuser der Gegend dem Erdboden gleichmachen. Ihre Nachfolger waren dreistöckig und prunkvoll und bildeten ein Ensemble nach dem Geschmack des Regenten.

Nun starrte Friedrich II. zur Mitte des Platzes und bewunderte die absonderlich anmutenden Bauten der Hauptwache vom Reiterregiment „GENS D´ARMES“. Pferdestallgeruch als Staatspräsenz mitten in Berlin! Und das bis 1782. Nun reicht´s! Die Pferdeställe verschwanden und auf dem Areal entstand das attracktivere Komödienhaus. Zwischendurch erhielt der Platz wieder einmal einen neuen Namen: Friedrichstädter Platz.

Wenn eigene Ideen Mangelware sind, muss man irgendetwas abzinken oder wenigstens so ähnlich ins Leben rufen. So wurde nach dem Vorbild der beiden Marienkirchen auf der PIAZZA DEL POPOLO in Rom kräftig zugelangt und die architektonische Fassadenkomik von Berlin erlebte ihre Geburtsstunde. Vor beide Kirchen kommt je ein funktionsloser mit Säulen und anderem Schnickschnack versehener Turm , ohne dass es eine innere Verbindung zu den Kirchen gibt. Architektonisches Renommee im Stile eines Kasperle – Theaters. Viva la renommage! Der Regent war zufrieden. Ab sofort hieß der Friedrichstädter Platz, an das Reiterregiment „GENS D´ARMES“ angelehnt , GENDARMENMARKT.

Mit dem Bau der Türme wurde Carl von Gontard, bedeutendster Architekt des spätfriderizianischen Rokoko, als Königlicher Baudirektor beauftragt. Die Arbeiten gingen auf der Berliner Bühne des schönen Scheins zügig voran und Friedrich II. rieb sich dreimal kurz militärisch die Hände, ein Stück Italien nach Berlin geklaut zu haben. Es war ein Aufblitzen seiner schlitzohrigen Genialität.

Zu dieser Zeit schlummerten die wohlhabenden Bürger des neuen Häuserensembles am Wechselnamensplatz in den schönsten Träumen, nicht ahnend, dass sich das im nächsten Augenblick gewaltig ändern könnte. Warum auch, alles pompös ! Mitten in der Nacht wurden die Berliner von einem unbeschreiblichen Donner aus ihren friedlichen Träumen gerissen. Mit einer Wucht erzitterten die Häuser und eine riesige Staubwolke kroch in die Zimmer am Renommierplatz. Berlin hatte eine neue Sensation ! Der Kuppelturm, den man an die Deutsche Kirche geklatscht hatte, war desaströs zusammengestürzt !Schaulustige drängten sich wochenlang, um die Einzigartigkeit des Berliner Ereignisses zu bestaunen und auszukosten. Das war im Juli 1782. Friedrich II. nahm´s gelassen hin und befahl Neuaufbau.

Die Maler jener Zeit hatten ein neues Motiv und postierten sich um die Ruine. Unter den Künstlern stand ein 17 jähriger Junge und dieser zeichnete was das Zeug hielt ! Es war der später berühmte Johann Gottfried Schadow.

Als das gekuppelte Silo nicht mehr erneut zusammenkrachte, ließ das öffentliche Interesse nach und man überlegte, wie man die beiden Betonhülsen besser an den Mann bringen könnte. Turm an der Deutschen Kirche ? Nee, klingt stupide. Und der Name Turm an der Französischen Kirche geht auch daneben. Wir brauchen einen Namen, den man in die Berliner Herrlichkeit reinbügeln kann. Stellen Sie sich mal vor, wenn man die Wahrheit beim Namen nennen würde, so ungefähr: Verzierte Deutsche Betonhülse auf dem Gendarmenmarkt oder Französisches Betonsilo auf dem Gendarmenmarkt. Wer denkt beim Namen Deutsche Betonhülse noch an Italien ! Sicher sehr wenige. Man könnte es mit „Deutsche Stümperkopie italienisierter Betonhülsen auf dem Gendarmenmarkt“ probieren. Aber das geht leider nicht, weil die Italiener wieder einmal sauer wären. Die Neue Berliner Zuckergussarchitektur erblühte am Fließband. Unentwegt stellte man Säulen und Fassadenfiguren her, und zwar immer doppelt, um den beiden Betonhülsen Berliner Charme einzuhauchen. Als die architektonische Lachnummer rechts und links des Komödienhauses ihren Gipfel erreichte, staunte man, wie prunkvoll und prächtig die Gontard´schen Türme sich nach der Garnierung ausmachten. Wer´s nicht weiß, könnte meinen, es handle sich um zu klein geratene Dome. Und wenn ein Turm wie ein Dom aussieht, dann ist er auch einer ! Basta ! So staunte Berlin nicht schlecht, dass zum Berliner Dom noch zwei Fehlgeburten in die Berliner Namenslandschaft kamen. Wer in der Welt kann schon behaupten, zwei garnierte Betonhülsen als Dome zu verbraten? Seht ihr, das zeigt wieder einmal klar die Einzigartigkeit von Berlin an. Und beobachtet man die Touristen, so ist es ein Heer von Staunenden: Berlin hat d r e i Dome ! Sensationell !!!

1800 bis 1802 sollte sich die Sache ändern, als das National-Theater von Carl Gotthard Langhans gebaut wurde, der auch das Brandenburger Tor entwarf. Für beide Bauten erntete er jedoch scharfe Kritik von seinen Fachkollegen. Das National-Theater brannte 1817 bis auf die Außenmauern ab und der Platz befand sich erneut im Koma.

Unter Einbeziehung der Reste des National-Theaters schuf 1821 Karl Friedrich Schinkel eine architektonische Glanzleistung und es entstand das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Von nun an konnte der Platz von sich behaupten, einer der schönsten Plätze Europas zu sein.

Am 10.11.1871 wurde das von Reinhold Begas geschaffene Schiller-Denkmal mit vier auf einem Brunnenrand sitzenden allegorischen Figuren vor das Schauspielhaus gestellt und so erblühte der Platz in vollster Schönheit. Von den allegorischen Figuren behaupteten die Berliner, es seien die einzigen Berlinerinnen, die ihre Klappe halten könnten. Da freute sich der Platz, doch gleichzeitig erhielt er wieder einmal einen neuen Namen, auf den er bis 1936 hören musste: Schillerplatz.

Vor der Aufstellung Schillers hatten sich verschiedene Interessengruppen in der Wolle, weil auch noch Goethe und Lessing aufgestellt werden sollten. Als die Fetzen nicht mehr flogen und die Schiller-Befürworter gewonnen hatten, verfrachtete man Goethe und Lessing in den Tiergarten.

1936 räumten die Nazis den Schiller-Brunnen aus dem Wege, da die braunen Horden Platz für Aufmärsche brauchten. Den II.WK überlebte Schiller im Westteil und die allegorischen Figuren im Ostteil der Stadt. Nun wunderte sich der Platz, weil der Westen den Schiller nicht rausrücken wollte und der Osten die vier allegorischen Damen ohne dem marmornen Friedrich auch nicht aufstellen konnten. Eine politische Lachnummer ! 1988 wurde alles wieder zusammengesetzt und Reinhold Begas‘ Meisterleistung stand endlich wieder auf angestammtem Platze.

Das prächtige Schauspielhaus Carl Friedrich Schinkels wurde im II.WK fast völlig zerstört. Nur Reste der Außenmauern und ein Teil des Großen Saals blieben übrig. Erst 1984 wurde es erneut den Berlinern wieder übergeben.

Zur glorreichen DDR-Zeit musste der Gendarmenmarkt nicht lange auf eine Namensänderung warten. Man taufte ihn mit sozialistischem Weihwasser zum Platz der Akademie. Nach 1989 spachtelte man den Akademie-Namen ab und der Platz durfte sich wieder Gendarmenmarkt nennen.

Viele behaupten, der Gendarmenmarkt sei der schönste Platz in Berlin. Doch meine ich, er gehört trotz der unfreiwilligen Komik zu den schönsten Plätzen Europas.

Ne Story von Dieter Raedel.