Science of Art. Know-how. Paula Modersohn – Becker ist eine der größten deutschen Malerinnen des Überganges zum 20. Jahrhundert in einem unverwechselbaren Malstil, der nirgendwo zugeordnet werden kann. Ähnlich eigen wie van Gogh.
Am 8.2.1876 in Dresden geboren.
Am 20.11.1907 in Worpswede gestorben.
Anlässlich der Ehrung möchte ich eine Bildbeschreibung zum „Selbstporträt 1906“ wagen, obwohl ich in meiner Literatur keinerlei Anhaltspunkte zum Gemälde finden konnte. Es ist im Privatbesitz. Obwohl es mit 1906 angegeben wird, könnte es meines Erachtens auch im Januar / Februar 1907 gemalt worden sein. Betrachtet man das Gemälde, so erkennt man sofort, dass es der Künstlerin gar nicht gut gegangen sein kann.
Paula malte sich sehr oft und ihre Aktselbstdarstellungen sind die ersten der Art in der gesamten Kunstgeschichte !!! Trotz dieser gewaltigen Bedeutung, wurde Paula hauptsächlich im deutschsprachigen Raum bekannt, jedoch nicht zu Lebzeiten. Ihre Malerei vereint viele Strömungen des Expressionismus, des Fauvismus und des Kubismus, beeinflusst durch ihren Aufenthalt in Frankreich. Sie befasste sich auch mit ägyptischen Mumienporträts. Auffällig sind ihre konstruierten Kompositionen, die an Paul Cézanne erinnern. Einige Arbeiten haben Picasso-Einschlag, obwohl diese Bilder kein Abfärben von ihm beinhalten, da diese zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten entstanden.
Paula Modersohn-Becker war eine nach Freiheit strebende und zugleich äußerst selbstsichere Künstlerin. Mit scharfen schwarzen Konturen ging sie ans Werk und malte flächig, wobei diese Flächen mit expressiven Pinselhieben versehen wurden und die Konturen teils „ausflockten“. An dieser Malweise erkennt man die bedeutende Künstlerin sofort. Bei ihren Selbstporträts sind oftmals die Augen mit bestechendem Weiß von Bedeutung, die eindeutig darüber Auskunft geben, die Welt tiefgründig beobachtet zu haben. Sie konzentrierte sich hauptsächlich auf die Form.
Paula war in Paris gewesen und strebte nach Unabhängigkeit. So wollte sie sich von ihrem in der Worpsweder Künstlerkolonie lebenden Mann, dem Maler Otto Modersohn, trennen. Dank des Einflusses des Malers Bernhard Hoetger gab sie diese Entscheidung auf, da es für sie unmöglich war, sich selbst finanziell auf den Beinen zu halten. Otto Modersohn lebte danach mit ihr in Paris und es kam zu der von ihr sehnlichst erwarteten Schwangerschaft. Paula war während dieser Periode äußerst aktiv. Ich habe mal nachgerechnet und bin zu dem Resultat gekommen, dass mindestens ein Gemälde pro Woche entstand. Hier muss man bedenken, dass in Paris die verschiedensten Museen für Studienzwecke besucht wurden und die junge Künstlerin noch im Aufschwung begriffen war. Als Schwangere ging sie mit ihrem Ehemann wieder zurück nach Worpswede.
Mir haben stets ihre Kinderbildnisse gefallen, die die Sehnsucht nach Mutterschaft sehr deutlich machen. Mit großer Liebe malte sie derartige Bilder und wich bei dieser Thematik von ihrem Konstruktivismus ab. Warum wähle ich kein Kinderbildnis für diese Ehrung der großen Künstlerin ?
Das Selbstporträt ist eine schroffe Bloßlegung ihres Gemütszustandes. Für mich trägt dieses Selbstporträt den Titel: „Paula hinter vorgehaltener Maske“. Mit hartem Schwarz drischt sie ihre Konturen auf den Malgrund. Wie mit Wut geführtem Pinsel malt Paula eine Selbstanklage, eine Todenmaske, hinter der ihre Augen nur wenig hervortreten, da sie alles im Schwarz untergehen ließ. Schlierig geistert sie im Gesicht umher, als wolle sie sich unkenntlich machen. Auch ihr Mund bekommt die Todesfarbe und die nur schwer auszumachenden Zähne unterstreichen diesen Selbstsarkasmus. Die Stirn und die Nase
liegen noch im Bereich der nach rechts gewandten Künstlerin. Doch während des Malprozesses zog Paula urplötzlich ihr Gesicht bis ans Ohr und die Maske, die in ihrer Hand gehalten wird, war perfekt. Ihre Haarform wie ein Heiligenschein des Todes, ikonenhaft dargestellt. Der untere Malabschnitt mit Finger, Hals und Kette, zeigt in dem Gemälde jedoch den typischen Malstil der Künstlerin.
Das größte Geheimnis spielt sich in der Gestaltung ihrer Augen ab. Während Paula das gesamte Porträt mit breiterem Pinsel arbeitete, nahm sie für die Gestaltung der Augäpfel einen spitzen Pinsel und arbeitete mit Akribie „Augenlandschaften“. Man sieht ganz deutlich, vom Betrachter aus gesehen, links eine Landschaft mit gepflügtem Acker. Im Hintergrund zwei markante Horizontallinien sowie eine kurze Schräglinie, die in der Luft schwebt. Rechts steht eine deutlich erkennbare Kirche. Das Gleichnishafte in ihren Bildern wird hier mit einer unwahrscheinlichen Sorgfalt herausgearbeitet. Mit etwas Fantasie kann man rechts im Augapfel eine helle Dreiecksgestaltung ausfindig machen, wobei die mittlere Hellkomponente an eine expressive Mutter-Kind-Gestaltung erinnert. Das Auge rechts wurde wie ein letzter „Lichtblick“, wie ein „Augenblick-Splitter“ gearbeitet. Die Details sind expressiver angelegt, als es im anderen Auge passierte. Wie wallende Schlieren ziehen sich expressive Furchen zu einer Grotten-Anlage mit bogenförmigen Eingängen, die nur ganz schwer auszumachen sind. Ich gehe davon aus, dass die Künstlerin zunächst mit ähnlicher Akribie wie im anderen Augapfel arbeitete und sie sich intuitiv zum „Nicht-wahr-haben-wollen“ entschied, dass einer leisen Hoffnung für einen etwaigen Neubeginn die Tür öffnete. Doch zu gewaltig, zu eindeutig ist die gesamte Bildaussage.
Paula Modersohn-Becker hatte ihre geliebte Mathilde, später „Tille“ genannt, geboren. Es war eine komplizierte Geburt. Endlich durfte sie aufstehn und da passierte es: Eine Embolie nahm ihr das junge Leben und damit ihr kurzes Mutterglück.
Dieter Raedel, Berlin.
Wichtige Hinweise:
Bis zum 24. Februar 2008 ist die Sonderausstellung ‚Leben !‘ an sechs verschiedenen Ausstellungsorten in Worpswede zu sehen.
Auch die Kunsthalle Bremen und das Paula Modersohn-Becker-Museum in der Böttcherstraße zeigen bis zum 24. Februar 2008 Arbeiten der großen Künstlerin.
Das Landesmuseum Hannover zeigt ebenfalls bis zum 24. Februar 2008 eine umfassende Schau.
Bis zum 24. März 2008 zeigt das Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude ebenfalls Arbeiten aus der Zeit ihres gemeinsamen Schaffens.