In den wilden Tagen nach der Wende, hatten die Stammeinwohner des Ostens noch genügend Geld in der Tasche, waren gut gelaunt und kauften Blumen en gros. Allein im alten Bahnhof Schönhauser Allee gab es zwei große Blumenstände und die Prenzlberger verschönerten sich ihre Wohnräume mit Blumensträußen mannigfaltigster Art. Einer war zuspät in den Blumenreigen eingetreten und musste sich damit begnügen, unterm U-Bahn-Viadukt gegenüber dem Bahnhof seine Blumenpracht anbieten zu können. Neben ihm handelte ein ärmlich gekleidetes Mütterchen mit Gartenblumen, die sie in einem kleinen Wassereimer zu stehen hatte. Meist wurde sie ihre Blumen eher los, wahr – scheinlich kaufte man bei ihr aus Mitgefühl. Die ältere Dame war auch stets zu einem netten Schwätzchen bereit.
Mario hatte einen zweirädrigen Karren mit selbstgebastelten Aufsatzbrettern, und wenn er damit in die Kopenhagener schaukelte, war das allein ein Paradestück aus dem Bilderbuch von „Gewusst wie !“ Nicht selten passierte es, dass ein heimtückisches Schlagloch auf ihn wartete, welches er mit einer nicht zu übertreffenden Sicherheit ansteuerte. In solchen Momenten kippte ein Teil seiner Ladung um und die Berliner waren außer sich vor Freude. Mario sah das anders und spulte seinen Fluchkatalog lauthals runter, ohne dabei die grinsenden Passanten auszulassen. Solche Sätze wie:
„Was glotzten ihr so dämlich, ihr Arschgeigen ?“
waren verständlich und jeder wusste damit etwas anzufangen.
Wenn in den Abendstunden kaum etwas gekauft wurde, war die damals 16 jährige Heike und ich oft bei ihm anzutreffen, um ihm die Langeweile mit Würfelspielen zu vertreiben. Mario war der geborene Spielertyp und hatte sich in vielen Tagen emsigen Trainings reichlich Erfahrungswerte an den Geldautomaten erworben. Manchmal bediente er mehrere Spielautomaten auf einmal, um möglichst schnell den Tagesverdienst in Sonderspiele umzuwandeln. Lief es nicht nach seinen Wünschen, bekamen es die Automaten mit seinen Fäusten zu spüren, wobei sein Fluchrepertoire unerschöpflich schien. Schlimm war es, wenn nur noch wenig Geld für neue Blumen vorhanden war. Alte Bestände, die eigentlich nicht mehr verkäuflich waren, wurden mit einem Draht versehen, um erneut Stabilität zu demonstrieren. Blüten, die im Begriff waren, für immer ihren Geist aufzugeben, besprühte er mit Autolack-Color. So gewannen sie ein neues Aussehen und hatten kaum die Möglichkeit, vom Stengel zu fallen. Und die Blüten, die wahrlich längst auf dem Sterbebett lagen, bekamen noch Glitzereffekt und wurden deshalb etwas teurer angeboten. Mario hatte sich im Laufe seiner Floristenlaufbahn einen umfassenden Erfahrungsschatz angeeignet und war im Berliner Telefonverzeichnis unter dem Buchstaben „E“, wie Experten, zu finden. Einmal bekam er von einer Frau sogar Trinkgeld, da seine Blumen nach sieben Wochen immer noch nicht verwelkt seien.
Allergisch reagierte Mario, wenn jemand sein floristisches Angebot von der negativen Seite einschätzte:
„Aber Ihre Blumen machen nicht mehr den frischesten Eindruck !“
In solchen Fällen knallte akut seine Hauptsicherung durch, die Kritiker wurden augenblicklich durch den verbalen Fleischwolf gedreht und hatten ausgespielt. Vor ihm waren alle Menschen gleich, ohne Ausnahme. Ihre Doktortitel konnten sie sich an den Hut stecken, weil sie von Mario neu eingestuft wurden. Die Frische seines Angebots sollte nicht angezweifelt werden, ansonsten gab es eine erfrischende Aufklärung, die es in sich hatte:
„Wenn ick dir den Wassereimer über die Rübe stülpe, sollste mal sehn, wie frisch das hier zugeht !“
Mario hatte Schnauze mit Herz und das sprach sich rum. Als keiner mehr bei ihm kaufte, wurde er Fahrkartenkontrolleur bei den Berliner Verkehrsumtrieben.
Glossiert und garniert von Dieter Raedel.