Stadttheater Cottbus. Staatstheater. Glosse

Theatergeschichte aus Cottbus: Wie wird man ein Künstler ?

Obwohl ich mich schon lange Zeit mit der Pantomime befasste und auch privaten Schauspielunterricht bei Fritjof Ruede in Leipzig erhalten hatte, blieb ich stets in jungen Jahren mit der Frage behaftet: Wie wird man ein richtiger Künstler ? Diese Frage bewegte mich. Aus Berlin kommend, wollte ich der Frage in Cottbus auf den Grund gehen.

So fand ich heraus, dass die Leute vom Theater in einer gegenüberliegenden Kneipe an der Karl-Liebknecht-Straße / Ecke Schillerstraße ihre Arbeit begossen, und zwar sehr reichlich. Mit den Schauspielern musste ich unbedingt in Kontakt treten, um rauszukriegen, wie man eigentlich Künstler wird. Zwar hatte ich in Leipzig den Truffaldino in „Der Diener zweier Herren“ gemeistert, doch kam ich als Faxenmacher nie richtig zu Ehren. Inmitten der Schauspieler, Sänger und Regisseure fühlte ich mich sofort wohl und mir wurde klar, dass man als angehender Künstler zunächst eine gehörige Portion Bier vertragen und das Leben von der lustigsten Seite betrachten muss. Das versuchte ich nun jeden Tag. Alle Komödianten rauchten grundsätzlich „Karo“, das wohl übelste Zeug, das die DDR neben der „Berliner Mauer“ je hervor brachte. Als Flüssig-Kompott trank man Kirsch-Whisky. Dieser Fruchtlikör hatte die seltsame Angewohnheit, sich sofort mit dem Bier zu vereinigen und mit geballter Kraft das Gehirn zu besetzen. Diese Invasion fand täglich statt und nach einigen Wochen schien ich bereits Künstler zu sein, da es keine Auffälligkeiten gab, die mich in der Kneipe von anderen groß unterschieden. Gelacht wurde grundsätzlich immer, obwohl ich heute nicht mehr weiß, welche Gründe es damals gab.

Trotz der täglichen Feiertage war es mir gelungen, das Geld für ein Mifa-Herrenrad aufzubringen, das ich stolz in einer lauen Sommernacht am kleinen Teich, rechts vom Jugendstil-Theater, den auf den Bänken versammelten Komödianten vorstellte. Ein Schauspiel-Regisseur, der später in Berlin für seine Inszenierungen zu Ehren kam, erinnerte sich, in Düsseldorf in ganz jungen Jahren Radsportler gewesen zu sein. Er schnappte sich mein Rad und fuhr, eine Flasche Rotwein in der einen Hand haltend, eine Ehrenrunde nach der anderen um den Teich, wobei er das bekannte Volkslied „Als wir jüngst in Regensburg waren“ anstimmte, das wir alle kräftig mitsangen, obwohl längst Mitternacht überwunden war. Besonders die Stimme eines Tenors, der von Plauen nach Cottbus gewechselt war und aus voller Kehle, auf einem steinernen Löwen des Parks sitzend, uns alle übertraf, beeindruckte die scheinbar sich zur Nachtruhe begebenden Anwohner gewaltig. Regisseur R.W. hielt es mit dem Rad auf dem Weg nicht mehr aus und nahm Kurs auf die Mitte des Teiches, wo er sogleich samt Fahrrad unter den Wellen verschwand. Nach einiger Zeit der Stille, wir unterhielten uns unterdessen über andere Dinge, schoss der Vermisste wie eine Rakete aus dem Teichgrund hervor und brüllte überzeugend in die Nacht:

„Die berühmte Fontäne „Jet d‘ Eau“ ist weiter nichts als ein verrostetes Eisenrohr !!!“

Alle klatschten. Ich auch, obwohl ich den Namen noch nie gehört hatte. Nach dem Beifall zitierte der Akteur eindrucksvoll Hölderlin, wobei er sich langsam ans Ufer bewegte:

„Mit gelben Birnen hänget und voll mit wilden Rosen das Land in den See.

Ihr holden Schwäne, und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilignüchterne Wasser.“

Allerdings hatte er mein neues Rad vergessen und nun durfte ich ins heilignüchterne Wasser. Als ich wieder draußen war und R.W. mich klatschnass vor sich sah, umarmte er mich und sagte:

„Willkommen im Reich der ewig Glücklichen !“

Ich empfand das als Ritterschlag und glaubte, nun endlich Künstler geworden zu sein.

 

LG Dieter Raedel