Am Tage des Gastspiels des rumänischen Staatszirkus in Lutherstadt Wittenberg.
Von der pantomimischen Probe vom Theater kommend, blieb ich vor einem Plakat stehn, welches ein Gastspiel des rumänischen Staatszirkus ankündigte. An dem Tag stand nichts weiter an und ich dachte so bei mir, den Abend wirst du mal nicht mit anderen Komödianten in der Kneipe verbringen. Dennoch konnte ich es mir nicht verkneifen, in eine kleine Bierkaschemme einzureiten, wo der Direktor des Puppentheaters seine neuesten Versionen über sein Engagement in Bautzen erzählte. Stupsi, wie wir ihn liebevoll nannten, knarzte je nach Alk-Pegelstand eine Fassung nach der anderen runter, und was gestern noch pure Wahrheit war, wurde einen Tag später verworfen. Mir gefiel das, weil’s da stets was zu lachen gab. Was er heute abspulte, ließ die anderen Kneipengäste erstaunen.
„Als ich in Dessau war, fehlte mir einen Tag vor der Premiere eine Marionette. Die konnte sich doch nicht einfach selbst davon gemacht haben. Ich suchte und suchte, doch sie war nicht auffindbar. Zwar hatte ich in Bautzen noch mehrere Puppen, aber wie sollte ich jetzt dahin kommen ? Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie mir die Düse ging, Kinders. Abends ging ich auf ein Bierchen weg, um meinen Ärger runterzuspülen. Also nee, Jungs, das war mir mehr als unangenehm. Am nächsten Tag war die immer noch nicht da. Was sollte ich bloß machen ? Und, Kinders, da sah ich in einer Ecke so einen Blechbehälter für Kohlen mit ner Klappe vorn dran, und im selben Moment schoss es mir durch den Kopf: das ist
die Lösung ! Rechts und links machte ich eine Halterung für Angelschnur dran, damit man den Behälter von den Seiten bewegen konnte. Die untere Seite der Klappe bekam auch eine Schnur und so konnte ich den Behälter von oben bedienen und sprechen lassen. Die Kinder haben sich gekringelt. Als ich die Requisiten nach der Vorstellung einpackte und einen kaschierten Brunnen rumdrehte, flog die gesuchte Marionette raus. Könnt ihr euch das vorstellen ? Die hat während der gesamten Vorstellung zugehört ! Erwin, noch ein Bier !“
Stupsi hatte mich nicht bemerkt und ich ging in bester Laune zum Zirkusplatz. Die Vorstellung war irgendwie altmodisch und ich begann mich fast zu langweilen. Es wurde ein Musikal-Clown angekündigt, dessen Namen ich noch heute im Gedächtnis habe: Grigorescu ! Er faszinierte mich durch und durch und so war ich ganz aus dem Häuschen. Nach der Vorstellung besuchte ich ihn, als er sich gerade abschminkte. Er erzählte mir, dass in einer Vorstellung Charlie Chaplin in der Loge gesessen habe, denen diese Clownerie ebenso gefallen habe. Ich verabschiedete mich und war in Gedanken in eine ganz andere Welt abgehoben. Schwebend fühlte ich mich.
Halb in Trance ging ich nochmals in die kleine Kneipe und ich hatte das Gefühl, als ob sich meine Neurotransmitter neu zu ordnen begannen. Stupsi lallte lachend den eingeschlafenen zwei Kumpels am Tisch die Tatsache vor, die Marionette sei einen Tag später aus einem Bierfass rausgeholt worden. Er entdeckte mich und sagte: „Stimmt doch, Raedel, ein Glück, dass die nicht ersoffen ist.“
Ich brachte ihn nach Hause zu seiner Elisabeth und er war ganz Stupsi. An diesem Abend beschloss ich, mich beim Staatszirkus der DDR als Clown zu bewerben.
Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
LG Prenzlmaler.