Im Interview: Roland Lindner

roland-lindnerDer Inter-Viewer:  Du beschäftigst dich seit 1997 intensiv mit der Bildhauerei. Die Bandbreite deiner Arbeiten reicht von stark figurativ bis abstrakt. Gab es einen Impuls, der dich zur Bildenden Kunst brachte oder waren verschiedene Einflüsse dafür verantwortlich? Gab es diesbezüglich vielleicht ein Ereignis, ein Schlüsselerlebnis, welches besonders prägend war oder hat dich Kunst schon immer fasziniert?

Roland Lindner: Ich bin von Beruf Sozialpädagoge und hatte das große Glück im Rahmen meiner damaligen Tätigkeit mich in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen auf allen kreativen Ebenen austoben zu können- auf musikalischem, sportlichem und natürlich auch auf künstlerischem Gebiet. Mich begeisterte schon als Kind, wie gut es manche Menschen verstanden, aus irgendwelchen Materialien etwas Interessantes zu formen. Nachdem ich mich dann selbst auf dieser Ebene einfach einmal ausprobierte, stellte ich fest, dass mir das Ganze gut von der Hand ging und es mir sehr leicht viel, meine Vorstellungen umzusetzen. Von da an ließ mich das künstler. Gestalten einfach nicht mehr los. Ich hatte meine besondere Gabe entdeckt, meine Berufung gefunden. Tag und Nacht kann man sagen, tobte ich mich zu dieser Anfangszeit gefesselt im Umgang mit irgendwelchen Materialien aus. Und dann kam es wirklich zu diesem Schlüsselerlebnis. Im Rahmen meiner früheren Tätigkeit in einer Kinder- und Jugendeinrichtung hatten Kinder eine uralte Tür zertreten und ich versuchte sie zu reparieren. Und genau bei dieser Tätigkeit stellte ich mir auf einmal die Frage: „ Mensch Roland- was machst Du hier? Die Tür ist uralt und völlig hinüber. Es ist so sinnlos sie zu reparieren. Mir wurde plötzlich bewußt, dass ich 4 Stunden meiner kostbaren Zeit einfach verschwendet hatte. Und so kam ich zur sogenannten Erkenntnis meines Lebens- mit meiner begrenzten Zeit achtsamer umzugehen, sie nicht mehr zu verschwenden sondern nur noch das zu tun, was mich voranbringt und ich auch selber wirklich will.

Der Inter-Viewer:  Du hast dein Studium der Kulturwissenschaften vor und während der Wende in Halle an der Saale absolviert. Gab es Lehrer aus dieser Zeit, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind oder dich besonders auf deinem weiteren künstlerischen Weg beeinflusst haben? Spielte die Wende eine Rolle, beeinflusste sie dich in deiner Arbeit und wenn ja, auf welche Weise?

Roland Lindner:  Nein- überhaupt nicht. Das war so eine verrückte Zeit, dass das Studium für mich keine große Rolle spielte und auch auf künstlerischem Gebiet mir nicht wirklich etwas brachte. Rückwirkend betrachtet, war das für mich damals eine Zeit der Suche, obwohl ich nicht wußte wonach eigentlich, denn mein künstlerisches Erwachen setzte ja erst viele Jahre später ein. Heute bin ich froh und glücklich, dass es zu dieser Wende kam, ansonsten hätte ich mich wohl auf künstlerischem Gebiet nie so frei entfalten und entwickeln können.

Der Inter-Viewer: Deine große Liebe gilt dem Holz, den Bäumen, denen, wie du auch in einem sehr treffenden Filmbeitrag beschreibst, durch deine Kunst ein zweites Leben beschieden ist. Aber auch andere Materialen sind fest in deinem Schaffen verankert so wie Bronze, Stein, Metall oder Glas. Wie entstehen die Figuren? Arbeitest du mit Skizzen? Ist eine feste Idee die Grundlage oder entstehen deine Kunstwerke frei, sozusagen erst innerhalb des Arbeitsprozesses? Welchen Anteil an Mitsprache hat das Material selbst noch am Schaffen aufgrund seiner natürlichen Eigenheiten usw.?

Roland Lindner:  Hier möchte ich gleich einmal vorwegstellen, meine große Liebe gilt nicht dem Holz, sondern meiner Frau. Wir sind wirklich ein wunderbares Team. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes meine Muse und noch viel mehr… Aber zurück zur Frage- ja, es hat wirklich mit Holz begonnen. Vor vielen Jahren habe ich mit dem Holz einen Pakt geschlossen. Solange ich mich dem Holz mit wirklichem Herzblut zuwende, etwas Schönes daraus entstehen lasse und ich ihm zu einem  zweiten Leben verhelfe, werde ich bei meiner Suche in der Natur belohnt und finde weiterhin wunderschöne außergewöhnliche Hölzer. Aber im Laufe der Zeit hat mich meine  Neugier herausgefordert, mich auch im Umgang mit anderen Materialien zu probieren. So arbeite ich heute mit Holz, Stein, Bronze, Glas, Metall usw., welches meinen künstlerischen Schaffensprozess in seiner Bandbreite stark bereichert. Ich, künstlerisch gesehen ein waschechter Autodidakt- habe 3 unterschiedliche Herangehensweisen.

  • Ich sehe ein Stück Holz, erkenne darin etwas, arbeite es künstlerisch heraus.
  • Ich habe eine Idee und suche dazu das geeignete Material für die Umsetzung.
  • Ich lasse mich in die Arbeit hineinfallen, schalte meinen Verstand aus und lasse mich intuitiv führen. Das ist besonders spannend, denn da fließt die göttliche Energie durch mich und die interessantesten Dinge entstehen.

Der Inter-Viewer: Ist deine kinetische Plastik im Steigenberger Hotel in Zingst nur ein Ausflug in diese Kunstrichtung oder könnte da noch mehr kommen?

Roland Lindner: Ich versuche mich immer auch in neuen Dingen. Mein Motto lautet: „ Sage niemals nie!“ Ich bin nicht festgelegt in meiner Kunst. Das was mich gerade fesselt, greife ich auf, ohne zu wissen, wohin es mich führt. Das ist es ja gerade, Neues zu probieren, zu tüfteln, wie man was am besten umsetzen kann. Das macht mir Spass. Ich spüre, wie ich mich auf meinem Weg befinde und der Weg ist doch das Ziel! Ich bleibe wohl immer ein Suchender auf künstlerischem Gebiet,  will mich auf keinen Fall festlegen oder selbst begrenzen.

Der Inter-Viewer: Wenn man deine Arbeiten genau betrachtet, auch vor allem die jüngeren fällt auf, dass die Entstehungsgeschichte des Menschen, die Fragen nach dem Sein und Werden, der Schöpfungsprozess sehr oft in die Bildwerke einfließen. Philosophischen Fragen, die viele Menschen bewegen. Auch Gefühle wie Liebe, Hoffnung, Sehnsucht kommen vor. Was inspiriert am meisten in deiner Kunst, was gibt die Kraft?

Roland Lindner:  Meine Kraft kommt von innen, aus dem, was mich selbst stark bewegt. Und das sind eben besonders die unsichtbaren Dinge, die auch meinem Leben den wirklichen Sinn geben? Liebe, Glaube, Hoffnung! Ich bin froh, dass ich dieses selbst so tief fühlen kann. Ja, ich bin von ganzem Herzen ein liebender und sehr spiritueller Mensch. Meine innere Schatzkammer ist übervoll an Gefühlen. Ich möchte gern davon abgeben, möchte Menschen in ihrer Seele berühren, etwas in ihnen bewegen, sie  teilhaben lassen. Und das verstehe ich auch als meine Lebensaufgabe. Ich habe unendlich viele Ideen in meinem Kopf die nur darauf warten, umgesetzt zu werden. Aus diesem Grunde möchte ich unbedingt 88 Jahre alt werden, bis zum letzten Tag arbeiten und mit meinen Kunstwerken Botschaften in die Welt senden.

Der Inter-Viewer: Du warst schon in vielen Ländern unterwegs. Afrika, Neuseeland, Lateinamerika, um nur einige herauszugreifen.  Wie viele deiner Erlebnisse und Begegnungen mit den Menschen dort fließen in deine Arbeiten mit ein? Gab es eine bemerkenswerte Begegnung oder  ein Erlebnis, welches sehr besonders war?

Roland Lindner:  Gut, dass es damals zu dieser Wende kam, ansonsten hätten meine Frau und ich wohl nie so weit und so viel reisen können. Wie schon gesagt, wir sind ein Team und wir sind immer auch beide gemeinsam unterwegs. Es ist ein Geschenk, dass uns diese Arbeit so frei macht und wir überall auf dieser Erde unserer Berufung nachgehen können. Dabei stellt das Kennenlernen anderer Kulturen und Religionen für uns eine Riesenbereicherung dar und zumeist gestalte ich direkt vor Ort interessante Arbeiten, in welchen ich aktuelle Themen aufgreife. So u. a. entstand z.B.2007 in Sri Lanka eine Holzskulptur! Ich fand am Strand einen Baum, welcher vom Tsynamie entwurzelt wurde. Mit Hilfe von Einheimischen transportierte ich diesen ins Hotel und gestaltete daraus vor Ort „ den Segnenden“- eine christliche Figur, welche symbolisch all die vielen Tsunamieopfer segnen soll. Ich war beim Schaffensprozeß tgl. umgeben von Hinduisten, Moslems, Buddhisten usw. Das war total spannend und wir tauschten friedlich untereinander die interessantesten Gedanken über die unterschiedlichsten und doch so gleichen Glaubensvorstellungen aus. Ja, durch unser Reisen sind auch wir viel weltoffener geworden, verstehen die Zusammenhänge des Lebens besser. Wir lernen durch kein Schulbuch so viel, wie durch die Begegnung mit anderen Menschen unterschiedlichster Prägungen. Vor allem aber wurde uns durch das Reisen immer wieder bewußt, was wir für ein großes Glück haben, hier in Deutschland auf der Sonnenseite des Lebens geboren worden zu sein.

Der Inter-Viewer: Das Meer scheint mit deinen Werken besonders verbunden zu sein. Wenn man die Galerie deiner Arbeiten auf der Seebrücke Zingst anschaut ist eine tragende Einheit offensichtlich, wird deine Kunst in dem Moment des Zusammentreffens mit dem Endlosen (mit der See) selbst so endlos und weit, so vertraut und doch fern. Wie kam es zu dieser fruchtbaren Symbiose?

Roland Lindner:  Es ist einfach Gefühl, Inspiration, Intuition! Eben zur richtigen Zeit- die richtigen Begegnungen und daraus dann entscheidende Gedanken zur Umsetzung meiner Seebrückengalerie in Zingst. Der Titel „ Grenzenlos wie der Himmel und das Meer- ist die Phantasie in der Kunst!“ Das sind meine Gedanken, die ich auch ausdrücken wollte. Das Thema „ Begrenzung“ ist momentan überhaupt so ein Thema für mich, welches mich fesselt. Alles ist unendlich, alles ist frei, alles ist offen, alles ist möglich… begrenzt nur durch unseren Verstand!

Der Inter-Viewer:  Simple Frage zwischendurch: Hast du künstlerische Vorbilder?

Roland Lindner: Ja- mein größtes künstlerisches Vorbild ist und bleibt die Natur. Es ist sozusagen meine Universität, durch welche ich tgl. lerne.  Und meine Lehrmeister sind meine 5 Sinne zuzüglich dem 6.Sinn.

Der Inter-Viewer: Was hältst du von Künstlergruppen und Kooperationen?

Roland Lindner:  Ich habe schon zahlreiche Symposien besucht und auch etliche  Kunstprojekte mit anderen Künstlern und Künstlergruppen (auch aus anderen Kulturen!) realisiert und zum Teil auch selbst geleitet. Finde das einerseits sehr fruchtbringend und andererseits sehr anstrengend. Künstler sind recht eigenwillige Individualisten und im Umgang nicht immer ganz einfach. Ich bin eher ein Mensch der Stille und möchte mittlerweile lieber ganz in Ruhe in meinem mir eigenen Rhythmus arbeiten und auch verarbeiten.

Der Inter-Viewer: Was bedeutet für dich der Begriff Kunst?

Roland Lindner:  Zu diesem Thema habe ich ein Buch in meinem Bücherregal mit über 1 500 Antworten. Kunst erklären zu wollen ist genauso, als wollte man jemandem die Liebe erklären, der sie nicht kennt. Man kann es nicht erklären, man kann es nur fühlen. Aber ich versuche es mal trotzdem: Gute Kunst ist für mich, wenn es mir gelingt, in den Herzen der Betrachter etwas zu bewegen- egal in welche Richtung. Kunst sollte etwas mit dem Gegenüber machen- was auch immer! Und inwieweit etwas als Kunst wahrgenommen wird  oder nicht, kann daher meines Erachtens nur rein der Betrachter allein entscheiden- je nach Tiefe seines eigenen berührt seins.

Der Inter-Viewer: Wie reagieren Betrachter auf deine Kunst? Was war für dich ein besonders denkwürdiges oder auch fröhliches Erlebnis?

Roland Lindner: Als Autodidakt hatte ich es anfangs hier in der Region nicht gerade leicht. Die prof. Künstlerkollegen hätten meine Kunst und mich damals liebend gern zerrissen. Glücklicherweise fehlte es mir aber nie an einem gesunden Selbstbewusstsein und ich gab nicht gleich wieder auf bzw. zerbrach auch nicht an dieser Kritik. Es hat mich sogar eher stark gemacht, mich motiviert und richtig angespornt. Es kam sogar das „Jetzt- Erst- Recht- Prinzip“ durch. Mein Ziel war es-  besonders gute Arbeiten entstehen zu lassen, um ihnen einfach keine Angriffsfläche zur Kritik zu geben. Nun sind seitdem viele Jahre ins Land gegangen, ich habe mich entwickelt und höre heute sehr viel Positives. Ich könnte mittlerweile stundenlang über tolle Erlebnisse mit Menschen auf meinem künstlerischen Wege berichten. Da kommen fast täglich liebevolle Briefe, Bilder Mails ins Haus geflattert von Menschen, die sich mit meinen Arbeiten tiefergehend auseinandergesetzt haben. Von dem Negativen verschont man mich wohl heutzutage eher- darüber wird eben weniger gesprochen. Ich wünschte mir trotzdem auch heute noch des Öfteren, ehrliche und offene Kritiken, so dass ich mich damit stärker auseinandersetzen kann. (Eine wahre kleine Erlebnisgeschichte hänge ich dem Schreiben einmal an!- von dieser Sorte gäbe es VIELE!)

Der Inter-Viewer: Was macht einen Künstler für dich aus?

Roland Lindner:  Er sollte seiner ureigenen Intuition folgen und seinen eigenen Gefühlen und Gedanken eine entsprechende Ausdrucksform geben. Auch Worte sind begrenzt. Bildhafte Eindrücke dagegen verbleiben zumeist eher in der Wahrnehmung und Erinnerung beim Betrachter.  Und ein Künstler sollte vor allem immer authentisch sein und nicht Kunst machen, nur um gutes Geld zu verdienen. Vordergründig sollte es immer um die Kunst an sich gehen- ein Künstler sollte also nicht einfach nur Kunst machen sondern Kunst leben. Und wer seine besondere Gabe als Künstler entdeckt hat, sollte sie mit Fleiß belohnen- um der Menschheit etwas auf seiner Art und Weise auch zurückzugeben.

Der Inter-Viewer: Wo kann man zurzeit deine Arbeiten sehen und was sind deine nächsten Pläne bezüglich geplanter Ausstellungen?

Roland Lindner:  Ich stelle z.Z. an folgenden Orten dauerhaft aus:

  1. Seebrückengalerie „ Kunst zwischen Himmel und Meer!“ in Zingst
  2. Steigenberger Strandhotel Zingst innen und im Park „ Engelsbo(o)tschaften!
  3. Hotel „ Fischland“ Dierhagen
  4. Hotel „ Dünenmeer“ Dierhagen
  5. Galeriecafe am Naumburger Dom in Naumburg
  6. Daetz- Centrum Lichtenstei
Folgende Ausstellungen sind für die nächste Zeit zusätzlich geplant:

– 2013 Seemannskirche Prerow
– 2013 Darmstadt
– 2013 Weingut „ Pawis“ Zscheiplitz
– 2014 Augustinerkloster Gotha

In diesem Sinne träume ich nicht mein Leben, sondern lebe bewusst meinen Traum.

Der Inter-Viewer: Ganz herzlichen Dank Roland Lindner für dieses aufschlussreiche Interview!

No-18-Roland-Lindner-Bildhauer
„No-18“ von Roland Lindner

Zweites Leben (Erlebnisgeschichte) 

Endlich ist sie da, diese lang ersehnte Nachricht. Ich darf diesen alten abgestorbenen Bäumen ein zweites Leben geben. Oh wie bin glücklich darüber. Hat sich meine Mühe also doch gelohnt, als ich im letzten Sommer ganz vorsichtig und voller Ehrfurcht mein Anliegen im Steigenberger Strandhotel in Zingst vortrug. Sicher ist das neu entstandene Hotel wunderschön und auch ich würde gern hier einmal Urlaub machen, direkt am Meer. Und die Leute sind eigentlich auch ganz nett in diesem Hotel. Trotzdem macht es mich immer wieder unendlich traurig- ja sogar ein wenig wütend, dass für unsere konsumgesteuerte Welt wieder so große und starke Bäume herhalten müssen. Bis August geben Sie mir also. Das sind nur noch 10 Tage. Nicht gerade viel Zeit, um diesen 3 abgestorbenen Bäumen mit meinen Händen ein zweites und vor allem ein ihnen würdiges Leben einzuhauchen. Aber doch, diese Bäume haben es verdient, dass ich mir große Mühe gebe. Sie dürfen nicht einfach sang- und klanglos in Vergessenheit geraten, wo sie uns Menschen doch Jahrzehnte so wertvolle Dienste erwiesen haben. Nein, sie sollen vielmehr später mit ihrem neuen Erscheinungsbild die Menschen aufrütteln, sie wach werden und erkennen lassen. Komisch, dass mir jetzt ausgerechnet die drei Affen einfallen, nichts hören, nichts sehen, nichts sagen! Wie viele Menschen um uns herum leben tagtäglich nach diesem eingefahrenen Motto. Ja immer schön wegsehen, weghören und raushalten aus allem. Dann kann mir nichts passieren. Oh wie ärgere ich mich über diese Denkweise mancher Mitmenschen. Aber ja, genau das ist es, diese Aussage – aber die in umgekehrter Form. Ich hab es. Diese 3 Bäume werden den – Ruf nach Veränderung – darstellen. Endlich bin ich wieder hier in diesem kleinen Ort am Meer, den ich mittlerweile so lieb gewonnen habe. Mein kleines bescheidenes Zimmer erkenne ich sogar schon am Geruch. Jedes mal erscheint es mir hier, als wären die Zeiger der Uhren stehen geblieben. Alles ist wunderbar ruhig und mir so vertraut. Sogar der Hut hängt noch immer an derselben Stelle. Ein gemütlicher Geruch von Kaffee durchflutet das ganze Haus und lockt mich in die alte norddeutsche Küche der Wirtsleute. Merkwürdig, wie jedes Mal fühle ich hier in mir eine eigentümliche Ruhe aufkommen. Jetzt könnte ich so richtig meine Seele baumeln und den Alltag hinter mir lassen. Aber das Gespräch mit den Alten über mein geplantes Vorhaben in den nächsten Tagen lässt mich sofort wieder hellwach werden. Neugierig und voller Erwartung spüre ich, wie es mich immer mehr zu meinen Bäumen zieht und ich begebe mich daraufhin, gestärkt durch Kaffee und Kuchen, auf den Weg. Direkt an der Seebrücke vor dem Steigenberger Strandhotel soll also in den nächsten Tagen mein Arbeitsplatz sein. Überall wimmelt es hier vor Touristen. Ausgelassene Menschen von Jung bis Alt schlendern, skaten, radeln lachend an mir vorbei. Aus den Straßencafes klingt einladende Musik. Bedenken machen sich auf einmal in mir breit. Störe ich diese herrliche Urlaubsidylle nicht womöglich mit meinem Kettensägenkrach? Hoffentlich gibt es da mal keinen Ärger. Direkt neben meinen Bäumen frohlockt eine italienische Eisbar mit unzähligen Eiskreationen. Oh wie lecker. Gerade hier, wo ich arbeite und so gern Eis esse. Ob ich dem wohl täglich widerstehen kann? Zu groß ist diese Verführung und ich bestelle mir gleich eine Riesenportion dieser kühlen Köstlichkeit. Wie ganz nebenbei und etwas verlegen weihe ich dabei den lustigen und aufgeschlossenen Italiener in mein Vorhaben vor seinem Geschäft in den nächsten Tagen ein. Er ist glücklicherweise von meiner Idee total begeistert und erlässt mir sogleich meine Eisrechnung mit der Bemerkung: „ Na dann auf gute Nachbarschaft!“

Schön, dass es solche Menschen gibt.
Diese nette Geste und überhaupt das bunte Treiben überall versetzen mich sofort in richtig gute Arbeitslaune. Ich kremple meine Ärmel hoch und lege nun voller Power und Energie los. Was doch Menschen mit solchen kleinen Bemerkungen in mir auslösen können. Ich staune selbst darüber. Die Sonne scheint herrlich und die Arbeit macht mir großen Spaß. Endlich kann ich meine nächtelang künstlerisch entworfenen Phantasien ausleben und meine Gedanken kreativ in die Tat umsetzen. Im Handumdrehen habe ich die ersten Grundformen aus den Bäumen herausgearbeitet. Wie leicht mir der Umgang mit dem Material und dem Werkzeug mittlerweile fällt. Ich staune selbst über mich. Ich sehe die entstehende Form gedanklich ganz klar vor meinen Augen, tauche geistig völlig ab und arbeite einfach alles weg, was meines Erachtens da nicht hingehört. Mein Körper sendet mir auf einmal deutliche Signale, dass ich endlich mal etwas trinken sollte. Also lege ich meine Kettensäge weg, setze meine Schutzbrille ab und entferne die Ohrenstöpsel. Ach du Schreck, was ist denn das? Die vielen Menschen ringsumher. Haben die mich etwa alle die ganze Zeit beobachtet? Au ist das peinlich. Ich habe es nicht einmal bemerkt, so sehr war ich in meine Arbeit versunken. Erstaunlich, es schimpft keiner über den Krach. Alle senden irgendwie zufriedene Signale. Sie zwinkern lächelnd mir zu oder geben kurze freundliche Bemerkungen. Eine Handvoll neugieriger Kinder bombardiert mich unentwegt mit den lustigsten Fragen. Die großen Kinderaugen strahlen mich an und ich kann nicht anders und überlasse ihnen ein paar alte Holzreste zum Ausprobieren. Bevor ich mich wieder in meine Augen- und Ohrenschutzmontur hülle, um in meine Arbeit abzutauchen, schweift mein Blick nochmals freundlich die Runde. Mitten im Gewühl fällt mir dabei ein älterer hagerer Mann so Mitte 60 auf, welcher allein auf einer Bank sitzt und von weitem das Ganze beobachtet. Er sieht irgendwie traurig aus. Aber meine Bäume fesseln mich sofort wieder voll und ganz und lassen mich bis zum Einbruch der nahenden Dunkelheit nicht mehr los. Zum Ausklang des Tages gönne ich mir ein Gläschen Wein am Meer und genieße dabei einen traumhaften Sonnenuntergang. Heute regnet es wie aus Gießkannen. Das war natürlich nicht geplant. Gott sei dank war ich in den vergangenen drei Tagen außerordentlich fleißig. Aber mir darf trotzdem kein Tag fehlen. Alles ist zeitlich sehr eng bemessen und ich habe nur noch 4 Tage bis zur feierlichen Übergabe der Skulpturen. Also bereite ich alles soweit wie möglich im Trockenen vor und fahre anschließend bei strömendem Regen zu meinen Bäumen und lege los. Auf Grund des schlechten Wetters sind nur ganz wenige Menschen unterwegs. Es ist auch gut so, denn heute muß ich mit meiner Säge nochmals so richtig Krach machen, bevor ich in den nächsten Tagen mit der etwas ruhigeren Feinarbeit beginnen kann. Nach einigen Stunden harter Arbeit und völlig durchnässt gönne ich mir beim netten Italiener diesmal einen Pott heißen Tee. Seine lockere italienische Lebensart gefällt mir und trotz des schlechten Wetters mit Sturm und Regen lachen wir beide unentwegt über Gott und die Welt. Als es mich zu meiner Arbeit zieht, fällt mir wieder dieser alte Mann auf. Komisch, jeden Tag ist er nun schon hier, mitunter stundenlang. Und immer sitzt er an dieser Stelle. Sogar heute bei diesem hässlichen Wetter. Dass er sich da überhaupt raustraut? Kein Mensch geht bei so einem Wetter vor die Tür, wenn er nicht unbedingt muss. Da sitzt er nun mit einem großen karierten Regenschirm auf der Bank und beobachtet wie immer jeden meiner Handgriffe. Ich lege los und versinke abermals in mein kreatives Schaffen. Aber nach Stunden sitzt er noch immer da. Seltsam dieser Mann. Friert er denn nicht bei diesem feuchten Wetter? Aber vielleicht hat er sich ja hier verabredet und wartet auf Jemanden? Sein Verhalten irritiert mich zunehmend und ich ertappe mich immer wieder dabei, wie sich unsere Blicke kreuzen. Vielleicht sollte ich zu ihm gehen und ihn einfach mal fragen, wie es ihm geht? Warum nicht? Irgendetwas bewegt ihn doch, sonst würde er nicht jeden Tag und sogar bei diesem Wetter hier sitzen. Was ist es? Neugierig und ein klein wenig unsicher setze ich mich einfach zu ihm auf die Bank. Der alte Mann lächelt erstaunt und freut sich sichtlich über mein Kommen. Sofort beginnt er von sich aus zu erzählen. Es begeistert ihn, was aus diesen alten abgestorbenen Bäumen von mir gestaltet wird, wie sie zu neuem Leben erwachen. Er kann das Ergebnis kaum erwarten und ist schon jetzt ganz gespannt und neugierig. Unentwegt lässt er mich teilhaben an seiner Gefühlswelt bezüglich der Bäume, des Hotels und schließlich seines ganzen Lebens. Nach einiger Zeit fragt er, ob er mich auf ein Bier einladen dürfe. Da ich aber nun mal überhaupt kein Biertrinker bin und ich diesen alten Mann nicht vor den Kopf stoßen möchte, einigen wir uns auf ein Eis in meinem italienischen Cafe. In unser Gespräch tief versunken, merken wir gar nicht wie rasend schnell die Zeit vergeht. Ein Blick auf die Uhr lässt mich auf einmal je zusammenzucken. Ach du Schande, schon so spät und nur noch 3 Tage bis zur Übergabe meiner Bäume und ich sitze hier und verquatsche die ganze wertvolle Zeit. Plötzlich spüre ich eine starke innere Unruhe in mir aufkommen und nach einer nur kurzen Verabschiedung stürze ich mich förmlich auf meine Bäume. Es gibt noch so Vieles zu tun. Sofort bin ich wieder hoch konzentriert und die Arbeit geht mir leicht von der Hand. Aber komisch, dieser merkwürdige alte Mann geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Einsam sei er, trotz seiner Frau zu Hause. Da fährt ein Mann allein ans Meer, um über sein Leben nachzudenken – und das in diesem Alter. Seine Augen sahen traurig aus und sein Blick war irgendwie so leer. Na ja, sein Leben schien ihm auch nicht sonderlich zu gefallen. Reifenhändler sei er gewesen, aber nur eben des Geldes wegen. Er hatte überhaupt keinen Spaß bei der Arbeit, nie. Und dort im Betrieb ödete ihn sowieso alles total an. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Tagein, tagaus das ganze Leben irgendetwas tun, was nicht erfüllt und glücklich macht? Nein, das wäre nichts für mich. Da bin ich völlig anders. Oh, wie liebe ich meine Arbeit. Kann ich es oftmals mitunter gar nicht erwarten bis die Nacht vorbei ist und ich meine nächtlichen Träume und Phantasien endlich künstlerisch umsetzen kann. Mein Kopf ist voll mit Ideen und ich schäume fast über vor Freude und Spaß bei meiner Tätigkeit. Ja, da kann ich mich wohl wirklich glücklich schätzen. Dagegen erscheint das Lebensgefühl dieses alten Mannes in einem völlig anderen Bild, da ist kein Fünkchen Stolz auf Gelebtes oder Erreichtes zu spüren, in allem nur eine tiefe Grundtraurigkeit. Große Angst hätte er vor alledem, was ihn im Leben noch so erwarten würde und ganz besonders fürchte er sich vor dem Tod. Er zweifelte rückblickend wohl fast an allen Dingen seines Lebens. Nie hätte er etwas in den 65 Jahren richtig hinbekommen und gut getan hätte er sowieso Niemandem. Oh man tut der mir leid. Aber wie heißt es doch so schön: „ Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Also komm Roland, konzentriere dich lieber auf dein Leben. Ein Sonnenstrahl kitzelt plötzlich meine Nase und ich werde durch lautes Niesen aus meinen Gedanken gerissen. Bei der Wahrnehmung des herrlich blauen Himmels bin ich völlig erstaunt. Nichts ist mehr von diesem grauen Regenwetter zu spüren. Ein paar lauthals vergnügte Kinder springen lachend vor mir in eine große Pfütze. Langsam wagen sich auch die ersten mutigen Passanten wieder auf die Straße. Die aus den Straßencafes erklingende Musik versetzt mich sofort in richtig gute Feierabendstimmung. Schluss für heute, morgen ist auch noch ein Tag. Also schwinge ich mich nach einer kurzen, etwas nervenden Aufräumaktion auf mein altes klappriges Rad. Auf dem Heimweg genieße ich das Geschrei der Möwen und die herrlich warmen Sonnenstrahlen. Ist das schön hier. Die Menschen, die hier immer leben können, die sind wirklich zu beneiden. Am Hoftor begrüßt mich freudig erregt, mit wedelndem Schwanz der zottige Hund der Wirtsleute. Ich bin für ihn schon lange kein Fremder mehr und er scheint mich sogar richtig zu mögen. Ein angenehmer Duft von frisch eingelegten Gurken lockt mich in die Küche. Da sitzen sie nun diese 2 Alten nach getaner Gartenarbeit ganz gemütlich beim Abendessen. Was für eine unglaubliche Ruhe und Zufriedenheit von diesen Beiden ausgeht! In meiner urigen Schlafkammer unterm Dach spüre ich, dass mich meine Arbeit doch ganz schön geschafft hat. Müde lasse ich mich auf das alte Holzbett fallen. Vor meinen Augen sehe ich in Gedanken auf einmal wieder deutlich das Gesicht des alten traurigen Mannes. Warum nur geht er mir einfach nicht aus dem Sinn? Woher nur seine Verbittertheit und wieso diese tiefe Grundtraurigkeit in ihm? Sicher, es kann einem schon ganz schön zusetzen, wenn man im letzten Abschnitt seines Lebens auf einmal wie er erkennen muss, dass man seine zur Verfügung stehende Zeit nicht intensiv gelebt und nicht wirklich genutzt hat. Das möchte ich mir mal niemals vorwerfen müssen. Aber ich denke da als Mensch auch völlig anders als er und bin überzeugt davon, dass alles im Leben irgendwie einen tieferen Sinn hat. Trägt nicht jede gelebte Erfahrung, egal ob gut oder schlecht, irgendwie zu einer notwendigen Erkenntnis bei? Mittlerweile bin ich dankbar für jede Lektion, die mir das Leben erteilte. Ich betrachte sie für mich jedes Mal als gute Gelegenheit, um auf dem Weg meiner inneren Weisheit zu lernen. Und was ich heute noch nicht verstehen kann, werde ich irgendwann zu gegebener Zeit schon begreifen, auch wenn es eben erst in meinem nächsten Leben sein wird. Als ich heute mit dem Alten im Eiscafe über diese Dinge sprach, schmunzelte er nur. Diese Denkweise könne er überhaupt nicht nachvollziehen, sei er doch viel zu realistisch im Leben. Und überhaupt nach dem Tode käme seines Erachtens sowieso gar nichts mehr. Da ist und bleibt ewige Ruhe und das für immer. Schade eigentlich, dass er sich so versperrt und völlig verschlossen für meine Denkweise ist. Jedenfalls wäre er da jetzt nicht so unzufrieden mit sich und dem Ganzen, da würde er die Chance der Zukunft für sich erkennen. Schade, aber was soll es. Die Menschen sind nun einmal unterschiedlich geprägt und ich verändere diesen alten Mann sowieso nicht mehr. Eine plötzlich einsetzende Müdigkeit lähmt nach und nach meine immer schwächer werdenden Gedanken. Aber leid tut er mir trotzdem irgendwie.

5.00 Uhr früh- im Haus ist es mäuschenstill. Draußen auf dem Hof kräht bereits eine Ewigkeit ununterbrochen der Hahn und gibt mir deutlich Zeichen. Aufstehen! Aufstehen! Ein letztes Rekeln und mich hält nichts mehr im Bett. Ausgeschlafen und topfit springe ich unter die kalte Dusche. Draußen zeigen sich bereits die ersten Sonnenstrahlen. So am frühen Morgen gefällt mir die Gegend hier besonders gut. Alles ist still und verträumt. Kein Menschengeschnatter, kein Motorengeheul von irgendeinem Auto sind zu hören, nur sanft ein gleichmäßiges Rauschen des Meeres. Die Blumen in den Vorgärten strahlen heute eine besondere Frische aus und zeigen sich in ihren prächtigsten Farben. Schon von weitem erkenne ich vor dem Strandhotel meine Bäume. Ich begrüße sie mit einem fröhlichen „ Hallo Jungs- wie war die Nacht?“ und muß dabei selbst über mich schmunzeln. Mit Klöpfel, Stechbeitel, voller Power und Energie lege ich sofort los.  Dass der Tag mittlerweile in seiner schönsten Form erwacht ist, spüre ich an den vielen großen und kleinen Urlaubern um mich herum. Munter zieht es viele, ausgerüstet mit Windschutz, Luftmatratze und Thermoskanne, bereits am frühen Morgen zum Meer. Gut haben sie es. Das Meer ist zwar verlockend, aber mich reizen meine Bäume um ein Vielfaches mehr. Gleich darauf tauche ich völlig vertieft mehrere Stunden in meine Arbeit ab. Es bereitet mir großen Spaß selbst zu erkennen, wie unter meinen Händen diese alten abgestorbenen Bäume zu neuem Leben erwachen. Interessierte Urlauber bleiben stehen und schauen mir bei der Arbeit zu. Immer wieder wird lauthals diskutiert, kommentiert, gelacht und vieles mehr. Mittlerweile sind viele bekannte Gesichter darunter von Leuten, die sich neugierig Tag für Tag ein Bild von dem Fortschritt meiner künstlerischen Tätigkeit verschaffen möchten. Komischerweise ertappe ich mich heute immer wieder dabei, dass meine Augen unbewusst in der großen Menschenmenge Ausschau halten nach diesem alten Mann. Ich habe ihn heute noch überhaupt nicht gesehen. Wo er nur bleibt? Vielleicht kommt er ja gar nicht? Aber na klar, bestimmt. Warum denn nicht? Bisher war er doch an jedem Tag hier. Sogar bei dem miesen Wetter gestern traute er sich her und sah trotz des Regens eine halbe Ewigkeit zu. Aber komisch, ansonsten war er doch zu dieser Zeit längst da. Na ja, vielleicht sitzt er ja wieder irgendwo und beobachtet das ganze still von weitem. Ein paar quirlige Kinder reißen mich aus meinen Gedanken. Kurzerhand überlasse ich ihnen Klöpfel und Stechbeitel und mit strahlend großen Kinderaugen dürfen sie, während ich mir ein Eis gönne, ihre Spuren in meinem Kunstwerk hinterlassen. So langsam gerate ich ins Schwitzen. Die Zeit rast davon und ich muß noch so vieles tun. Bloß jetzt nicht nervös werden. Du schaffst das schon. Ich habe keinen Blick mehr für das bunte Treiben um mich herum und bin nur noch voll und ganz auf meine Arbeit konzentriert. Nicht nur mein Arbeitstempo, nein auch die Mittagssonne bringen mich jetzt ganz schön zum Schwitzen. Hier diese Form muß ich noch etwas deutlicher hervorheben und dann noch das Leinöl auftragen, so dass die wunderschöne Maserung des Holzes besser zum Ausdruck kommt. Ich trete einige Meter zurück, um meine Skulpturen zu betrachten. Doch, ich kann ganz zufrieden sein mit mir und meinen Bäumen. Auch der nette Italiener vom Eiscafe ist begeistert von meiner Arbeit. Er säuselt einige italienische Brocken in seinen Bart und klopft mir dabei mit einem zu stimmendem Kopfnicken wohlwollend auf die Schulter.

Neugierig betrachten gerade unzählige Kindergartenkinder meine Bäume. Sie nutzen ihren alltäglichen Spaziergang bewusst dazu, um mir ein wenig bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Mächtig erstaunt sind sie darüber, was aus diesen alten abgestorbenen Bäumen in so kurzer Zeit Schönes entstanden ist. Mit ihrer reichhaltigen Phantasie und ihren großen Kulleraugen erkennen sie lauthals und ohne Hemmungen die tollsten Dinge in dem Holz, welches ein allgemeines Gelächter hervorruft. Der lustige Italiener lädt plötzlich spontan die ganze Kinderschar auf eine Kugel Eis ein und mit einem lauten Freudenschrei sind alle kurz darauf verschwunden. Als ich mich gerade wieder meiner Arbeit zuwenden will, sehe ich ihn plötzlich- meinen alten Mann. Na endlich! Dieses Mal scheint er das Ganze nicht bloß von weitem betrachten zu wollen, sondern er steuert geradewegs wie ein alter Bekannter schnurstracks auf mich zu. Er wolle sich verabschieden, meint er nach kurzer Begrüßung und ist nur noch einmal vorbeigekommen um Ade zu sagen. Erstaunt schaue ich ihn an. Nanu, damit habe ich ja nun überhaupt nicht gerechnet. Mir wird bewusst, dass ich zwar viel, aber wohl doch nichts richtig von ihm weiß. Unser Gespräch vom Vortag sei ihm einfach nicht aus dem Kopf gegangen, verrät er mir etwas verlegen. Lange hätte er über diese Worte nachdenken müssen und vieles könne er gedanklich überhaupt nicht nachvollziehen. Er sei überhaupt sehr skeptisch allem gegenüber. Aber falls ich mit meiner Meinung vielleicht doch recht haben sollte und es wirklich ein Leben nach dem Tode geben wird, dann weiß er jetzt zumindest ganz genau, was er werden möchte. Ein großer und kräftiger Baum mit Wurzeln, die tief ins Erdreich reichen, um schweren Stürmen widerstehen zu können. Aufrecht will er stehen und niemals ins Wanken kommen müssen. Sein Stamm soll so stark sein, dass andere sich jederzeit ruhig an ihn anlehnen können. Viele Äste will er haben, die sich schützend um ihn umhüllen. Vor allem aber, möchte er viele Früchte tragen.

Völlig regungslos und starr lausche ich ergriffen seinen Gedanken. Als ich in meinem Inneren tief bewegt nach einer Antwort suche, nimmt er stillschweigend meine Hand, schaut mir tief in die Augen und verabschiedet sich von mir mit den Worten:

„ Und wenn irgendwann einmal mein Ende als Baum gekommen sein soll, dann wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass sie mich entdecken und aus mir ein besonderes Kunstwerk gestalten, damit auch ich in meinem Leben endlich einmal die Aufmerksamkeit der Menschen bekommen werde.“