Prenzlmaler Dieter Raedel, Berlin. Eine Theateranekdote vom Elbe-Elster-Theater in Lutherstadt Wittenberg. Ich war am dortigen Theater Solist der Pantomime und zugleich Puppenspieler.
Die Probenarbeit für das Puppenspiel „Tonga und die Räuber“ ging schleppend voran. Zunächst gab es einen erheblichen Zeitverlust bei der eigenen Herstellung der Stabpuppen, danach war das Bühnenbild laufenden Veränderungen ausgesetzt, der Direktor hatte immer wieder neue Ideen und irgendwie waren wir Puppenspieler lustlos geworden. Der Direktor der Puppenbühne gab uns die Schuld und wir verlagerten die Schuld auf ihn. Wir waren vier Spieler: Helga, Gabi, Thomas und ich.
Unser Direktor hieß Jochen, obwohl sein offizieller Künstlername „Stupsi“ war – den hatten wir ihm verpasst, seiner Stupsnase wegen. Da es hinten und vorne haperte und wir anscheinend grundsätzlich alles falsch machten, gab uns Stupsi jeden Tag neue Regieanweisungen. Bald musste das Stück raus in die Spielstätten, doch wir hatten nicht mehr die Merkfähigkeit, die Flut verschiedener Regieanweisungen im Gedächtnis zu behalten. Wenn man pro Szene zehn Varianten im Angebot hat, gibt’s irgendwann Räubergulasch. Stupsi trank gern ein Bierchen und benötigte auch langsam einen Kompass, da er seinen eigenen Anweisungen nicht mehr folgen konnte. Wir machten ihm den Vorschlag, zu würfeln.
Der Intendant des Theaters hatte von der „Sautruppe“ gehört und wollte sich nun davon überzeugen, ob alles zutrifft. Wahrscheinlich waren unserem Stupsi die Felle davongeschwommen und so mussten wie dafür herhalten. Was er dem Chef ins Ohr geflüstert hatte, kriegten wir nie raus. Wir standen hinter dem zwei Meter hohen schwarzen Paravent und waren ratlos. Vor dem Paravent war ein mit Pratikabeln errichtetes Podest von etwa 40 Zentimetern Höhe. Stupsi kurvte in der Probenbühnewie ein wildgewordener Esel umher, da jeden Moment der Chef die Tür zur Probenbühne öffnen konnte und hielt schnell noch eine Ansprache:
„Kinders, reißt euch endlich zusammen. Gleich kommt der Chef und da gibt’s keine Ausreden mehr. Ich bitte um eiserne Disziplin !“
Nach der Vergatterung betrat der Intendant den Raum und nahm wortlos in den Stuhlreihen Platz. Allgemeines Schweigen trat ein und der Direktor der Puppenbühne sagte nach einer Weile:
„Chef, ich muss erst mal pinkeln !“
In dem Moment begann die Bühnendekoration zu wackeln, da wir urplötzlich einen nicht mehr zu stoppenden Lachkrampf kriegten. Der Chef schwieg.
„Der sitzt mit seinem Beschwerdekatalog in der mittleren Stuhlreihe und hakt alles ab, was Stupsi ihm berichtet hat !“, sagte jemand und wir gingen zu Boden. Die stampfenden Schritte im Flur kündigten Stupsi’s Kommen an und nun wurde es ernst.
„Wir beginnen von vorn !“, verkündete er im Raum.
„Wo sonst ?!“ hörte man hinterm Paravent.
Stupsi hatte einen Prolog für die jungen Zuschauer zu sprechen und betrat das Podest. Laut Regieanweisung kamen nach einer Weile zwei Räuber, die in der Luft rumschossen. Vom verschossenen Schießpulver sollten die Kinder weiße Wolken sehn, um mal so richtig Angst zu kriegen. Als das Stichwort fiel, humpelten die Räuber an den Paravent und schossen in Richtung Stupsi. Weiße Puderschwaden rieselten auf Stupsis schwarzen Anzug, während Helga und Gabi mit Startklappen einen Donnerschlag nach dem anderen erzeugten. Wir hatten richtig Feuer gefangen und schossen munter weiter.
Plötzlich sagte der Chef:
„Jochen, jetzt siehste wie’n Schneemann aus !Das passt so richtig zu diesem Kaspertheater ! Fehlt bloß noch ne rote Möhre !“
„Die hat er in der Hose !“, verlautete es hinterm Paravent. Stupsi schäumte vor Wut.
„Kinders, das lass‘ ich mir nicht gefallen, mich so vor dem Chef zu blamieren ! Es war niemals von Trommelfeuer die Rede gewesen !“
Der Chef lachte.
„Trommeln hab‘ ich nicht gehört, doch fand ich die Sache überzogen.“
„Chef, das haben die nur gemacht, um von ihrem Unvermögen abzulenken ! Wir beginnen jetzt an der Stelle, wo die Räuber mit der Schießerei aufhörten ! Konzentriert euch … und Anfang !“
„Stopp !“, schrie Stupsi, „Da bauscht ein Requisit den Vorhang !“
Da wir nicht wussten, was da bauschen sollte, taten wir gar nichts. Plötzlich raste Stupsi Richtung Paravent, blieb mit einem Bein am Podest hängen, knallte auf die Vorbühne und riss dabei den gesamten Vorhang runter und verschwand hinter dem schwarzen Stoff. Wir konnten nicht mehr und gingen vor Lachen in die Hocke. Als Stupsi langsam hervorkroch und wir wieder auf den Beinen standen, merkten wir, dass der Intendant wortlos den Raum verlassen hatte.
Stupsi sagte etwas zögerlich:
„Chef, das ist das wahre Theater. Geht die Hauptprobe in die Hose, wird die Generalprobe um so schöner !“
„Stupsi ! Hör‘ mit deinen Selbstgespächen auf. Der Chef hat den Schießplatz längst verlassen !“
LG Prenzl.