Während der Reichtagsverhüllung 1995 lernte ich einen sympathischen Aktionskünstler kennen: Rainer Brendel. Mit seinem Fahrrad und einem Anhänger sammelte er brauchbare Abfallprodukte aus dem Müll, um sie erneut ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stellen. Was andere nicht mehr gebrauchen konnten, fand bei ihm Verwendung. So überlegte er, wie seine installierten Requisiten am besten von Betrachtern wahrgenommen werden könnten. Als die Kamerastandpunkte des Fernsehens und der Schwenkbereich des Krans ihm bekannt waren, begann er genau an diesen Stellen kaputte Fahrradschläuche, zerrissene Seile, Unterhosen, Büstenhalter, Babywäsche und Ofenrohre anzubringen. Das machte Rainer nachts mit einer langen Stange. Als das TV-Team an die Arbeit ging, waren sie überrascht, gewisse Veränderungen der Umwelt zu bemerken. Der Automatismus der Medien erhielt einen Denkzettel. Egal, was sie versuchten, stets und ständig waren die eigenwilligen Objekte im Bild.
Und genau das ist das Anliegen des Aktionskünstlers Rainer Brendel: Leute aus der Monotonie des Alltags zu locken, sie zum Denken anzuregen, den eingespielten Rhythmus zu unterbrechen. Viele Freunde gewinnt er bei seinem Treiben nicht, da es liebgewordene Strukturen stört. Sein Einsatzgebiet ist überall in der Hauptstadt zu suchen und bei besonderen Anlässen kann es schon mal passieren, dass dieser Lockenkopf mit seinen optischen Denkanstößen in Erscheinung tritt.
Auch im Prenzlauer Berg waren seine Objekte zu sehen und viele Berliner schauten mit einem Schmunzeln zu, wie eine Kinderpuppe lustig an einem Halteseil der Stromleitung baumelte und besonders in Schwung kam, als die Straßenbahnen die Stelle passierte. Auch der alte Bahnhof Schönhauser Allee war mit sonderbaren Artikeln bestückt, die man zuvor dort nie gesehen hatte. Am Kino Colosseum – Cinemaxx standen damals Telefonhäuschen und auf ihnen standen Polstersessel. Alle lachten und amüsierten sich über diese auserlesenen Schaustücke an ungewöhnlichen Standorten. Da sich keiner zuständig fühlte diese Objekte zu entfernen, hatten Rainers Installationen stets große Chancen, längere Zeit die Gemüter zu bewegen.
Neben seinen Kunstobjekten galt sein Interesse alten Plakaten und verfallenen Flächen, wo er pausenlos mit weißer Kalkfarbe seine Marken setzte. Mit seinem Fahrrad fuhr er zur künstlerischen Arbeit. Vorn war ein Korb mit einem großen Kalkeimer zu finden und einem riesigen Pinsel, der ihm erlaubte, selbst während des Fahrens bestimmte Marken zu setzen.
Einige Zeit sah man in der Stadt vordergründig die Einstein’sche Formel E = mc2 und in späterer Zeit an allen möglichen Stellen „Sechsen“. So nannte man ihn bald den „Sechsenmaler“ und ich konnte auch in der Presse über ihn etwas lesen. Manchmal besuchte er mich und trank einen Tee bei mir, da er genau wusste, dass ich seine Art der Tätigkeit anerkannte. Seit längerer Zeit habe ich Rainer nicht mehr gesehen. Mir ist allerdings bekannt, dass er in verschiedenen anderen deutschen Städten ebenfalls in Aktion war: Stuttgart, Hamburg, Kassel und andere. Auch waren Einsatzgebiete in Paris und Brüssel zu finden. In unserer Stadt entdeckte ich später seine „Achten“. Voriges Jahr sah ich in der Greifenhagener ebenfalls seine Zeichen. Installationen habe ich nicht mehr sehen können. Wer weiß, vielleicht gab’s Ärger.
LG Dieter Raedel, Prenzlauer Berg