Wir waren noch sehr jung und voller Ideen und leerer Kassen. Damals noch in der Theaterwelt ansässig, kam ich auf den Einfall, in einer Kneipe porträtieren zu wollen. Ein leerer DIN A 3 – Zeichenblock und ein DIN A 4 – Block sowie Bleistifte verschiedenster Härtegrade warteten auf die Modelle. Wir suchten uns die gut besetzte Eckkneipe Dimitroffstraße (jetzt Danziger), Ecke Prenzlauer Allee aus und platzierten uns im hinteren Teil des Restaurants neben dem Toiletteneingang. Mein Kumpel André sollte als Anmache porträtiert werden. Der Kellner kam und wir bestellten zwei Mineralwasser. Nun begann ich zu zeichnen und der Kopf meines Kameraden nahm langsam Gestalt an. Es dauerte gar nicht lange und der erste Gast blieb an unserem Tisch stehn.
„Nich schlecht. Wenn de willst, kannste mir och malen. Wat kostet’s ?“
„Zwee Schnäpse und een Zehner.“
„Wenn de sein‘ Kopp fertig hast, rufste mir.“
Nach 10 Minuten gab ich Bescheid und Kandidat Nummer eins saß Modell. Kaum war der Mann an seinem Tisch, kam der nächste Kumpel angesockt und wir lebten auf. So ging das immer weiter. Zum Schluss waren wir voll wie die Amtmänner. Beim Zeichnen sah ich die Gäste und die Bleistifte doppelt und die Porträtierten glichen mal einer Kasperpuppe, mal ner Runkelrübe und mal ner Murmel. Da anscheinend den Gästen inzwischen auch der Sehnerv gestört war, gab’s für die Scharlatanerie nur dankbare Ehrungen, die mit Stolz entgegegen genommen wurden. Die Mineralwasser mussten wir nicht bezahlen.
Als gefeierter Meister der Grafik verließ ich die Kneipe, ohne eigentlich genau gewusst zu haben, was für Krikelkrakel ich da produziert hatte. Wir verschnauften zunächst auf einer Bank und wollten noch den letzten Kick in der „Nachtbar Clou“ erleben. Obwohl wir abgefüllt waren, versuchten wir uns auf den Beinen zu halten. Kaum waren wir an der Bar, sprach uns ein Hühne an und ließ sich das Porträt meines Freundes zeigen. Dieser erklärte ihm flüsternd, dass ich bereits ein sehr bekannter Berliner Maler sei. Das erwies sich als beeindruckend und der Große mit dem Zopf fragte, ob der Block auch zu verkaufen sei. Ich verneinte.
„Der wird für eine Ausstellung gebraucht.“
„Wieviel kostet so ne Zeichnung ? “
„Nich ville. Nur een Fuffi mit ner Null hinten dran!“
„Wieviel Blätter sind in dem Block ?“
„30 Stück.“
„Det macht … 1500 Mark. Ick biete 300 uf die Kralle !“
„Ick weeß nich …“
„400 !“
„Jut, ick hab ma breit schlagen lassen.“
„Lass den Block anne Jarderobe einwickeln und die hebt’n für mich uf.“
Er gab 400 Mark und wir gaben den Block der Garderobenfrau.
„Nischt wie wech, womöglich jibt det noch Jewitta !“,
sagte mein Saufkumpel. Wir verputzten uns außer Sichtweite und setzten uns lange Zeit lachend auf eine Bank. Der Zeichenblock bestand aus leeren Blättern und wir stellten uns vor, wie er am nächsten Tag seine Lage beurteilen würde. Sein Kunsterlebnis dürfte vollkommen gewesen sein.
LG Dieter Raedel.