Die dritte Runde vom Kettenkarussell ging zu Ende, doch ich verspürte keine Lust, meinen Platz zu räumen. Ein junger Mann kassierte für die nächste Runde die Fluggäste ab und ich überreichte ihm meinen Obolus. Der Karussellbetreiber läutete die kommende Fahrt ein, die für mich nicht stattfinden sollte. Das Läuten stellte sich als Haustürklingel heraus. Allmählich wühlte ich mich aus dem Traum in die Wirklichkeit. Nur mit einer kurzen Hose bekleidet, ging ich zur Wechselsprechanlage und fragte, wer um Einlass bat. Noch vom Schlaf benommen drückte ich den Summerknopf, ohne verstanden zu haben, wer mich besuchen möchte. Nur unvollständig bekleidet öffnete ich die Wohnungstür.
„Hallo, Bonie, kennste mich noch ?“
„Im Moment nicht.“
Ein in die Jahre gekommener Mann, sportlich gekleidet, schob sein Klappfahrrad in den Hof und war kurz danach in meiner Wohnung. Ich fühlte mich unwohl, mit vertrieften Augen halbnackt einen mir unbekannten Besucher zu begrüßen. Um das Dämmerlicht im 1. Galerieraum zu beenden, öffnete ich die Jalousien zur Straße, während mein Gast seine Oberbekleidung auf einen der am Galerieschaufenster stehenden Stühle ablegte.
„Ich bin Olaf ! Erkennst du mich nun ?“
„Ja, jetzt weiß ich wer du bist. Mensch, über 20 Jahre haben wir uns nicht mehr gesehn.“
„Von Jürgen wusste ich, dass du hier wohnst. Doch ich fand das Atelier nicht und habe die Postfrau gefragt, die mir sagte, dass du in der 15 wohnst.“
Ich entschuldigte mich, um meine Tageskleidung anzulegen.
„Willst du einen Kaffee ?“
„Nee, ich habe derart viel Kaffee getrunken und möchte erstmal auf die Toilette. Hast du eine ?“
Olaf, der ehemalige Artist, der Schleuderbrettekzentriker, mit dem ich mich stets in vergangenen Zeiten gut verstand, war mein Überraschungsgast. Nach seiner Artistenlaufbahn war er als Fotograf tätig. Mit einem anderen Artisten bildete er ein Komödianten – Duo, das in allen Kneipen von Berlin-Mitte bekannt war. Immer quietschvergnügt bei Laune, rissen die beiden jahrelang eine Braut nach der anderen auf. Olaf, einer der „Happy’s“, einer damaligen Zirkusattraktion.
„Hast du schon damals gemalt, Bonie ?“
„Nein, das ging erst nach der Wende los !“
„Mir gefällt das, was du machst. Meine Bekannte malt auch und hat ihr gesamtes Haus mit Bildern ausgestattet.“
„Und wie geht es dir so ?“
„Ich wohne auf meinem Grundstück und komme so über die Runden. Übrigens trete ich hin und wieder als Clown und Stelzenmann auf. Es läuft ganz gut. Und auf dem Weihnachtsmarkt mache ich seit Jahren den Weihnachtsmann. Wohnst du schon immer hier ?“
„Ja, Olaf. Früher im dritten Stock, seit 1997 in der ersten Etage und ab Mai des vergangenen Jahres hier im Erdgeschoss.“
„Na, da will ich dich nicht länger aufhalten. Warte mal, ich gebe dir mein Kärtchen, da kannst du meine Homepage betrachten. Wir sehn uns sicher bald mal wieder.“
„Im Sommer siehst du mich mit meinen Bildern an der Gethsemanekirche.“ „Ja, ich weiß, das sagte mir Jürgen. Also mach’s gut !“
„Du auch ! Tschüssi !“
Ich setzte mich in die Küche und rauchte auf nüchternen Magen eine Zigarillo. Die Uhr zeigte fast 13 Uhr an. Ich betrachtete mein unrasiertes Gesicht im Spiegel und sagte zu ihm:
„Weißt du, ich ändere mich nie !“
LG Prenzlmaler.