Dieter Raedel | 15 Minuten im Prenzlberg

Gedankenverloren trippelte ich zum Bäckerladen und schmeckte in appetitlicher Voraussicht die zu kaufenden Kuchenstücke „Apfel mit Sträußel“. Im Munde sammelte sich derart viel Wasser, so dass die Brühe bei jedem Schritt hin und her schwappte und ich im Begriff zu sein schien, mich in einen Geysir zu verwandeln. Den halbvertrockneten Sträuchern an der Straße wäre eine gezielte Fontäne willkommen gewesen. Der Boden war fest und keiner bemühte sich, ihn aufzugrubbern.

Von der Kneiperei nebenan drangen Bruckstücke schaler Unterhaltung in mich rein, die mit Trüffel garniert, nicht ihren faden Charakter verloren hätten. Die Wiedergeburt eines umweltfreundlichen Satzes war außer Reichweite. So beschleunigte ich meinen Gang, um so schnell wie nur möglich am dicken Prinzipal vorbei zu huschen, der soeben im Begriff war, die am Tisch lungernde Frau mit vorgetäuschter Geschäftigkeit aus dem Reich ihrer in den Tag hinein geretteten Trunkenheit zu holen. Um sich nicht beim Wachrütteln zu splittern, griff er von hinten der Entschlummerden beidhändig an die Weichstellen im Bereich ihres Brustkorbs und zog sie beflissen in die sitzende Haltung. Die Angegriffene machte keine Anstalten sich zu regen und so sah der umsichtige Geschäftsführer sich erneut veranlasst, sie im besagten Griffbereich hoch zu hieven. Er schüttelte enttäuscht den Kopf, schaute nach rechts und links und probierte ein drittes Mal in gleicher Weise seine helfende Freundlichkeit an die Frau zu bringen. Nun hatte er genug, strich sich mit der rechten Hand über den Oberschenkel und verschwand hastig in seiner Kneiperei, während die Schlafende sich in ihren Träumen nicht stören ließ.

Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre beinahe in kopfverdrehter Gangart gegen eine SMS – tippende Standfigur geprallt. Geschickt wich ich aus und trat in einen Prenzlberger Hundegruß. An der Bordkante versuchte ich meinen Schuh freizugeigen und schlürfte über das letzte Grün, in der Hoffnung, die Botschaften abzustreifen. Damit fertig, ging ich endlich Richtung Schönhauser, wo wie üblich die Verkehrsampel mir einen Streich spielte. Zunächst signalisierte sie FDP, um danach sich bei SPD einzupegeln. Neben den Wartenden schrie einer den Leuten ein kostenloses 14 tägiges Leseangebot einer CDU-regierten Zeitschrift in die Ohren. Obwohl jeder verstand, wurde der arme Ampelbereichsschreier nicht beachtet. Als eine Dame mit ihrem Blindentaststab sich ihm näherte, lief er verdrossen zur nahen Bank und knallte seine gebündelten Politblätter auf den Bürgersteig. Er stauchte sich auf die Bank und dachte über die unberechenbaren Ignoranten vom Prenzlauer Berg nach.

Bei Grün vollzog ich eine Kehrtwendung und lief zurück, um mir von der gegenüberliegenden Lottobude bei Manne Zigarillos zu holen. Nachdem ich die Glanzfolie abgezottelt hatte, setzte ich mich vor den Zeitungsladen und verrauchte erstmal eine. Mein Mund war salztrocken und die Zigarillo blieb an den Lippen kleben. Langsam befreite ich die Glutstange und betrachtete teilnahmslos die Passanten. Eine junge Dame mit Gehgips humpelte an mich ran, blieb verschnaufend stehen und fragte:
„Haste mal ne Lulle für mich ?“
„Aber ja ! Ich rauche allerdings Zigarillos.“
„Nee, die kannste behalten, da muss ich meine Lullen aus der Tasche kramen.“
Sich auf ihre Krücken stützend, holte sie sich mit Erfolg die Zigaretten aus ihrer Umhängetasche. Wortlos gab ich ihr Feuer.
„Danke !“
Ich stand auf und ging nach Hause, um mir einen Tee zu machen. Zuvor holte ich eine Werbesendung aus dem Briefkasten und las kopfschüttelnd:
Eröffnungsangebot der Bäckerei Mehler: 1 Stück Apfelkuchen mit Sträußel nur 1,- Euro !

LG Prenzl.