„Bolooooo“ nervt Seebad Ahlbeck. Wahre Satire.

Alle Zimmer waren belegt im Seebad Ahlbeck und das war auch nicht anders zu erwarten. Usedom war schon immer das Naherholungszentrum der Berliner, die Badewanne von Berlin. Das störte mich in jungen Jahren nicht und ich reiste zu einem privaten Gastspiel als Pantomime in das Ostseebad Ahlbeck. Kostüm und Schminktasche waren meine Begleiter. Sollte ich kein Zimmer kriegen, schlafe ich halt am Strand. Kein Problem. In einem Restaurant in der Seestraße genehmigte ich mir erst einmal ein Bierchen und danach sehn wir weiter. Auto besaß ich keins und so hatte ich meine Freiheit. In der Kneipe lauschte ich den Klängen der Sprache, um rauszukriegen, wer Urlauber und wer Einheimischer war. Etwas weiter hinten sprach man plattdeutsch und ich wechselte meinen Tisch, um mit den Strandläufern ins Gespräch zu kommen.

„Tschuldigung ! Ick vasteh‘ von euch kaum een Wort, aber dennoch habe ick mal ne Frage,“
„Konnst ruhig frog’n, wir wissen olles !“
„Mich interessiert, wer hier die nächste Runde schmeißt !“
Die vier Kumpels klopften mit den Fäusten vor Lachen auf den Tisch und meinten: „Dat hom wir schon rousgekriegt, du konnst die schmeißen !“
Und wiederum lachten sie was das Zeug hielt.
„Ick hab‘ in der letzten Zeit nur Pech. Überall trifft’s mich zuerst.“
„Rutsch mit deinem Stuhl ron, do könn‘ wir besser snoken.“
Ich ging zur Theke und bestellte fünf Pils, wobei der Wirt lächelte.
„Du kommst wohl ous Berlin?
„Na klar, wie alle hier !“
Auch das kam an und man stellte sich gegenseitig vor. In Gedanken machte ich bei jedem neuen Anklang einen senkrechten Strich. Innerhalb weniger Minuten hatte ich im Seebad Ahlbeck neue Freunde gefunden. In Berlin hatten mir einige erzählt, die Mecklenburger seien stur. Nicht die Bohne ! Es liegt wahrscheinlich an der Art, wie man sich gibt. „Wos host denn du do für eine eigenortige Gornitur zu liegen ?“
„Das is mein Kostüm. Ich bin Pantomime und will den Urlaubern bisschen Spaß machen. Aber ich weiß noch nicht, wo sich die Ferienheime befinden.“
„Spoß konnste bei uns ouch mochen, do brouchste die Urlouber nich !“
Sofort merkte ich, dass ich als Nichturlauber besser angesehen war. Wieder ’n Strich !
„Und wo willste pennen ? Host du ’ne Bleibe ?“
„Nee, ick schlaf‘ zwischen dem Seehafer !“
Meine Klappe kam an und man überlegte sogleich, wie man mir aus der Patsche helfen könnte.
„Ick kenn‘ do einen, der hot wohl noch so’n Notquortier. Ick hou‘ sowieso gleich ob, do kannst gleich mitkommen.“
Wir gingen die Dünenstraße Richtung Westen entlang und bogen in ein Haus, wo auf dem Hof ein paar Hühner rumpickten und ’ne Katze sich sonnte. Mein neuer Bekannter ging ins Haus, während ich derweil die Katze streichelte. Bald kam der Hausherr mit seiner Frau und sagte:
„Wenn deine Ansprüche nich zu hoch sind, konnst do drü’m im Fohrrodschuppen schlofen. Ick zeig‘ dir’s mol.“
Im Schuppen stand ein Bett, das mit irgendwelchem Gerümpel bedeckt war. Neben dem Bett drei Fahrräder und vorn ein Motorrad. Der Schuppen hatte ein kleines Fenster mit einer grauen Gardine.
„Det jefällt mir ! Sojar mit Jardine !“
Die Frau meinte: „Die wosch‘ ich für dich, do brouchste dir keine Sorgen mochen. Und woschen und zur Toilette konnst bei uns in der Woschküche, do ist genug Plotz !“
Wir wurden uns ganz schnell einig und ich hatte ein Quartier. Meine Künstler – Herberge befand sich zwischen der Stresemann- und Rathenaustraße. In den nachfolgenden Tagen klapperte ich die Erholungsheime von Ahlbeck und Heringsdorf ab und hatte bereits zirka 15 Auftrittsmöglichkeiten. Nach den ersten Gastspielen, die ungefähr jeweils 20 Minuten dauerten, kamen sogleich Nachfolgetermine. Und so ging das immer weiter. Als Spielorte kamen noch Koserow, Ückeritz, Zempin und Zinnowitz hinzu. Mehrere Monate blieb ich in Ahlbeck und fuhr nach einigen Tagen mit dem Taxi zu den Spielstätten, da ich manchmal drei Einsätze pro Tag hatte. Alles für Erwachsene. Während der Auftritte lernte ich den Jongleur Lothar Löhr kennen, der mit seinem Saturn – Trick und Witzeleien die Urlauber restlos begeisterte. Der Trick bestand darin, einen Ball durch einen Reifen zu schleudern. Seine Jonglage beeindruckte mich und auch seine losgelassenen Witze, die die Urlauber erheiterten. Er ließ sich gewöhnlich von Musik begleiten. Bei mir war das anders, ganz anders.
Die Urlauber erhielten ein paar Einführungsworte und danach sprach nur noch mein Körper. Diese Sprache wurde mit Interesse aufgenommen und jeder verstand sie.

Eines Tages lernte ich einen Schauspieler kennen, der sich in Ahlbeck ferienmäßig die Zeit um die Ohren schlug und Berliner war. Wir verstanden uns sofort und begannen mit einem ganz bestimmten Wort die Leute auf der Straße zu narren und kriegten so unseren täglichen Spaß.
Wir standen an einem Stand mit Ansichtskarten und es ertönte ein ganz lautes, langgezogenes „Boloooooo !“ Blitzartig drehten sich alle Leute um und suchten die Ausgangsstelle des eigenartigen Rufes. Wir ließen ein paar Minuten verstreichen, gingen zu einem Hauseingang und wiederum ertönte es: „Boloooooo !“ Nach einigen Tagen war das Wort in aller Munde und die Urlauber hatten endlich mal ein Gesprächsthema gefunden, ohne jemals rausgekriegt zu haben, wer diesen seltsamen Spaß auf den Ahlbecker Straßen abließ. Wenn wir das Wort raushauten, suchten wir logischerweise wie alle anderen die Gegend ab. In einer Kneipe klärte uns der Wirt auf, dass Ahlbeck inzwischen wohl „Seebad Bolooobeck“ heißen würde. Einheimischen gefielen die vielen „O“s. Das ließ uns die Brust anschwellen. Nach einer Woche hatten wir endlich genug und die Straßen von Ahlbeck mussten ohne „Boloooooo“ auskommen.

LG Dieter Raedel